Was kann ein Sportpsychologe erreichen bzw. erarbeiten?
Alles und nichts (lacht). Es kommt drauf an, wie lange man den Luxus hat, mit einer Mannschaft arbeiten zu können. Wenn es eine regelmäßige und längerfristige Zusammenarbeit ist, die vielleicht sogar vor der Saison beginnt, sodass man mit ins Trainingslager fahren und die Leute kennen lernen kann, ist das natürlich optimal – und es lässt sich viel erreichen.
Denn man kann gezielt und in Ruhe erarbeiten, wo Herausforderungen liegen, die gelöst werden sollen und gucken, was man auf Teamebene er- bzw. bearbeiten will. Und man kann mit den Spieler:innen sprechen, wer vielleicht auch individuell arbeiten will, um beispielsweise besser mit Drucksituationen oder Rückschlägen umgehen zu können, Fehler besser abzuhaken oder Konzentration und Fokus besser zu steuern.
Und wenn man diesen Luxus nicht hat?
Wenn man kurzfristig geholt wird, ist man oft die Feuerwehr. Das ist eine undankbare Ausgangslage. Man kommt erst dazu, wenn es überhaupt nicht läuft und sofort etwas passieren muss und dann ist es natürlich schwierig, weil oft viel schon im Argen liegt. Man muss möglichst schnell erkennen, wo man ansetzen will bzw. Einfluss nehmen kann – ob beispielsweise im Verhältnis zwischen Coach und Mannschaft oder im Verhältnis innerhalb des Teams oder aber in Bezug auf Themen wie beispielsweise Selbstvertrauen und Einstellung
Es ist ein komplexes Feld, in dem man schnell handeln und effektiv sein muss. Der Erfolg von psychologischer Arbeit hängt davon ab, ob die Menschen bereit sind, sich darauf einzulassen, zu lernen und sich weiterzuentwickeln – und das ist in so einer Extremsituation noch einmal schwieriger.
Eine der Situationen, in der es zu einem „Feuerwehr-Einsatz“ kommen kann, ist eine Mannschaft im Abstiegskampf, bei der nichts mehr zusammenläuft. Was sind noch Situationen, in denen die Unterstützung eines Sportpsychologen helfen könnte?
Ich arbeite schon ziemlich lange im Handball, sowohl im Leistungs- als auch im Breitensport und die Themen, mit denen Trainer:innen immer wieder auf mich zukommen, sind oft ähnlich. Sie sagen: Meine Mannschaft hat total viel Potenzial, aber wenn es Spitz auf Knopf kommt, kriegen wir das nicht auf die Platte. Oder: Bei uns reicht es einfach nicht für 60 Minuten, wir verlieren immer in der Schlussphase, was können wir tun? Oft geht es auch um Emotionsregulation, weil Mannschaften oder Spieler:innen nicht mit Rückschlägen – egal, ob individuell oder mit einer Niederlage der Mannschaft – umgehen können oder weil sie sich unglaublich viel mit Faktoren beschäftigen, die man als Team nicht beeinflussen kann.
Inwiefern?
Es gibt Spieler:innen oder Mannschaften, die sich extrem von äußeren Einflüssen ablenken lassen, was der Konzentration nicht zuträglich ist. Die Beschäftigung mit dem/der Schiedsrichter:in ist das klassische Beispiel, aber es gibt auch viele andere Faktoren. Ob Harz in einer Halle erlaubt ist oder nicht, kann ein Riesending sein. Die Kulisse kann beeindrucken. Oder Zuschauer:innen, die zu dicht am Spielfeld sitzen. Ich habe Spieler:innen erlebt, die solche Dinge total mitnehmen – und dann beschäftigen sie sich damit statt mit ihrer Aufgabe. Daran kann man natürlich arbeiten.
Inwiefern hast du das das Gefühl, dass die Bedeutung der mentalen Perspektive bzw. die Arbeit eines Sportpsychologen von Trainern bereits wertgeschätzt wird? Oder ist das gerade im mittleren Leistungsbereich ein immer noch unterschätztes Feld, bei dem viele Teams noch etwas rausholen könnten?
Im Vergleich zum Fußball, wo die Anstellung eines Sportpsychologen für Nachwuchsleistungszentren bereits in den Lizenzkriterien vorgeschrieben ist, ist der Handball noch etwas zurück. Ich hoffe, dass es in diese Richtung gehen wird, denn das ist sinnvoll. Und auch im Handball wachsen Interesse und Offenheit. Ich glaube, dass es im mittleren Leistungsbereich inzwischen oft nicht mehr an der Akzeptanz scheitert, sondern an den Finanzen. Einige Teams investieren Sponsorengeld allerdings statt in den nächsten Trikotsatz inzwischen in die Arbeit mit einem Sportpsychologen.
Aber?
Es gibt natürlich immer noch Trainer:innen, die vom älteren Schlag sind – und das meine ich gar nicht altersdiskriminierend auf das Lebensalter bezogen, sondern auf die Denkweise: „So einen Quatsch brauchen wir nicht!“ Und natürlich ist die Akzeptanz auch dann nicht gegeben, wenn es von oben, beispielsweise von der Vereinsführung, ohne Absprache „verordnet“ wird.
Wie gelingt es, Akzeptanz zu schaffen – gerade, wenn einige Spieler vielleicht auch skeptisch sind?
Das erlebe ich oft und in erster Linie ist es eine Frage der Kommunikation. Die Trainer:innen sollten es im besten Fall mit ihrem Team bzw. dem Mannschaftsrat absprechen, bevor sie einen Sportpsychologen hinzuziehen. Wenn die Mannschaft die Probleme auch sieht und die Idee gut findet, funktioniert die Arbeit natürlich besser.
Es ist auch eine Frage, wie man als Trainer:in seinen Plan kommuniziert. Es macht einen riesigen Unterschied, ob man sagt: Wir haben ein Problem und daran müssen wir arbeiten. Oder ob man der Mannschaft vermittelt: Wir wollen uns weiter verbessern und die mentale Komponente dazunehmen – dann werden wir sehen, was es uns bringt.
Was würdest du Spielern sagen, die Vorbehalte haben?
Oft kommen die Berührungsängste oder der Abwehrmechanismus daher, dass ein Spieler oder eine Spielerin nicht weiß, was ein Sportpsychologe genau macht und wie er arbeitet. Wenn man das erklärt und Beispiele bringt, wächst das Verständnis. Ich arbeite zum Beispiel viel mit praktischen Übungen. Dabei gibt es oft Aha-Erlebnisse und spätestens die können die meisten Spieler:innen überzeugen. Es ist aber auch ein Teil der Wahrheit, dass du in jeder Mannschaft Spieler:innen hast, für die das einfach nichts ist – und das ist auch okay.
Was rätst du einem Trainer, wie er damit umgehen sollte, wenn er eigentlich gerne einen Sportpsychologen hinzuziehen möchte, aber zweifelt, ob das etwas für sein Team ist.
Ich würde unbedingt dafür plädieren, es mit dem Team zu besprechen und es einfach auszuprobieren – auch, wenn es keine hundert Prozent Zustimmung in der Mannschaft gibt. Selbst wenn man am Ende nicht alle Spieler:innen erreicht, können die Maßnahmen helfen, das Team besser zu machen. Und selbst die Spieler:innen, die zweifeln, nehmen oft nebenbei etwas mit. Und es gibt natürlich auch Spieler:innen, die von Natur aus Mentalmonster sind. Da muss man dann auch nicht auf Zwang herumdoktern, wenn es für sie funktioniert.
Welche Rolle spielt das Niveau, auf dem eine Mannschaft spielt?
Die Probleme sind oft unabhängig vom Niveau die gleichen. Das Selbstvertrauen – gerade nach mehreren Niederlagen – ist ein riesiges Thema und das hast du bei Profisportler:innen ebenso wie im Breitensport.
Und die Altersklasse? Inwiefern lohnt sich die Arbeit unterhalb des Erwachsenenbereichs?
Die regelmäßige Arbeit mit einem Sportpsychologen ist mit Jugendlichen sinnvoll, sobald sie leistungsorientiert unterwegs ist. Punktuell und spielerisch kann man aber auch Kinder bereits an das Thema heranführen; da reichen zehn oder fünfzehn Minuten im oder nach dem Training. Ich trainiere zum Beispiel acht- bis 14-jährige Mädchen im Softball und spreche auch schon mit ihnen darüber, wie sie sich in bestimmten Situationen fühlen. Ich frage: In welchen Situationen bist du aufgeregt? Wo fühlst du die Aufregung? Wie geht es dir damit?
Was bringt das?
Kinder müssen lernen, mit diesen Gefühlen umzugehen. Sie müssen lernen, dass das Kribbeln im Körper in manchen Situationen normal ist – und vor Spielbeginn zum Beispiel bedeutet, dass sich der Körper damit bereit macht, Leistung zu bringen. Und sie können erste Techniken, wie zum Beispiel verschiedene Atemtechniken lernen, um zum Beispiel mit Aufregung umzugehen. Die kann man in jedem Alter lernen. Ich frage auch gerne im Mannschaftskreis: Was macht ihr, wenn ihr aufgeregt seid? So kommen die Kinder untereinander ins Reden und lernen, ihre Gefühle einzuordnen und sich gegenseitig Tipps zu geben. Der Sport gibt Kindern ohnehin so viel für das allgemeine Leben mit – wie den Umgang mit Druck – und da gehört auch diese Komponente dazu.
Wenn eine Mannschaft jedoch noch nie mit einem Sportpsychologen gearbeitet hat, ist die einzige Maßnahme in dieser Richtung oft das obligatorische „Teambuilding-Event“ in der Vorbereitung …
Solche Teambuildung-Maßnahmen kann man natürlich machen, aber ich finde die Art und Weise oft nicht wirklich gut. Viele Teams gehen raften oder klettern, was für das soziale Miteinander natürlich gut ist, aber wenn es den Zweck des Teambuildings erfüllen soll, holen sie oft nicht das Maximum raus. Dafür müsste es wirklich als Teamevent angelegt werden, kooperativ und mit verschiedenen Rollen. Und es sollte auch entsprechend nachbereitet werden. Ich finde es schade, dass da oft Chancen vergeben werden. Es spricht aber natürlich generell nichts gegen nette Team-Zusammenkünfte aller Art. Sich auch außerhalb des Sports kennenzulernen, trägt auch dazu bei, als Team enger zusammenzurücken.
Wenn sich ein Trainer dafür entscheidet, mit einem Sportpsychologen zu arbeiten: Wie kann er einen finden?
Es gibt eine Expertenliste, die ursprünglich vom Bundesinstitut für Sportwissen (BISP) geführt wurde. Inzwischen ist das übergegangen in die Arbeitsgemeinschaft für Sportpsychologie (asp). Dort kann man Sportpsychologen in seinem Umkreis suchen oder nach Sportarten auswählen. Es kann sinnvoll sein, wenn man nach Sportpsychologen sucht, die selbst Mannschaftssport gemacht haben oder schon Teams – im Handball – betreut haben. Das ist aber absolut kein Muss! Ein Teil unserer Arbeit als Sportpsycholog:innen ist es immer, sich in Sportarten einzuarbeiten und sich in Mannschaften einzufühlen.
Was kann die Sportpsychologie nicht leisten?
Man darf nicht erwarten, dass der Sportpsychologe heute das erste Mal kommt und man morgen ein Ergebnis sieht. Wer das verspricht, ist komplett unseriös. Das kann sich jeder selbst denken, denn wir können nicht gezielt steuern, wie Menschen reagieren. Sie müssen schon selbst im mentalen Bereich arbeiten, sich mit sich selbst beschäftigen und Dinge lernen wollen.
Als langer Arm des Coaches eignen wir uns auch nicht. Wir können sicherlich eine Mediatorrolle im Gespräch zwischen Trainer:in und Mannschaft einnehmen, aber wenn ein:e Trainer:in mit seiner bzw. ihrer Mannschaft nicht klar kommt, ist ein Sportpsychologe nicht die richtige Person, um die Meinung des/der Trainer:in bei der Mannschaft durchzudrücken. Vom Coach oder der Vereinsführung instrumentalisiert zu werden, ist keine Rolle, die wir einnehmen können und wollen.
Und auch, wenn es bei einzelnen Spieler:innen individuell in den Bereich der klinischen Psychologie geht – ob mit Depressionen, Angststörungen oder ähnliches – ist ein Sportpsychologe nicht unbedingt der richtige Ansprechpartner, denn dafür braucht es eine besondere Ausbildung. Ich gebe solche Fälle an eine Kollegin, die zusätzlich klinische bzw. psychologische Psychotherapeutin ist. Es gibt aber auch sportpsychologische Kolleg:innen, die beide Ausbildungen haben und Sportler:innen auch in diesem Fall weiterhelfen können.
Abschließend: Was würdest du einem Trainer sagen, der das Thema grundsätzlich interessant findet, dessen Verein oder Mannschaft sich aber keinen Sportpsychologen leisten kann?
Das Anliegen ist mir natürlich bekannt, das werde ich immer wieder gefragt. Es ist schwierig zu beantworten, denn ich kann natürlich nur total allgemeine Hinweise geben, wenn ich das Team und den/die Trainer:in nicht kenne. Aus der Ferne ist eine optimale Hilfe nicht möglich. Das schiebe ich immer vorweg, weil ich es sonst unseriös finde.
Unter dieser Prämisse kann ich – wenn überhaupt – nur sehr allgemeine Tipps geben und ob die dann fruchten, ist fraglich. Daher vermeide ich das meist und rate dazu, einmal zu schauen, ob man als Team nicht für die sportpsychologische Betreuung zusammenlegen oder einen Sponsoren finden kann.
Wie kann ein Trainer in so einer Situation vorangehen?
Ein:e Trainer:in muss in Krisensituationen der Fels in der Brandung sein – auch, wenn er oder sie selbst zweifelt oder mit der Krise hadert. Jeder kennt es, dass die Spieler:innen zum/-r Trainer:in gucken, wenn es nicht gut läuft – und wenn dort ein:e Trainer:in steht, der oder die ständig den Kopf schüttelt, macht das etwas mit den Spieler:innen. Als Trainer:in muss es dir gelingen, Mut zu machen; alles andere nützt im Spiel nichts. Ebenso wichtig ist es als Trainer:in aber, mit den Co-Trainer:innen oder Vertrauten über die eigenen Zweifel und Sorgen zu sprechen. Diesen Raum muss man sich für die eigene Psychohygiene nehmen, denn auch ein:e Trainer:in darf nicht alles runterschlucken und muss sich Rat und Unterstützung – gern auch beim Sportpsychologen – holen dürfen