„Ich könnte grinsen wie ein Honigkuchenpferd“ – Interview mit Erik Wudtke
August 1, 2024| Marc Fasthoff
Unser Vorstandsmitglied Erik Wudtke gewann mit der deutschen Männer-Nationalmannschaft die Silbermedaille bei den Olympischen Spielen in Paris und Lille. Im Interview sprach er über die Entwicklung der Mannschaft und gab einen Einblick in den Trainingsalltag während des Turniers.
Erik, unabhängig vom Ergebnis des Finals, sind diese Olympischen Spiele ein Erfolg, oder?
Wenn man eine Medaille von Olympischen Spielen mitbringen darf, ist das auf jeden Fall ein Erfolg. Ich will es gar nicht allein an den Ergebnissen festhalten, denn ich finde, dass die Entwicklung der Mannschaft ein Erfolg ist. Letztendlich werden wir in Deutschland aber auch immer daran gemessen, ob wir etwas mitbringen oder nicht – und das haben wir geschafft. Wir waren bei der Heim-Europameisterschaft schon relativ nah dran und jetzt haben wir uns für die Arbeit belohnt.
Womit bist du in der Entwicklung besonders zufrieden?
In so einer Top-Mannschaft entwickeln sich die Spieler nicht so sehr im individuell-technischen Bereich, denn sie bringen ja unheimlich viel mit. Der entscheidende Schritt ist die Entwicklung im mentalen Bereich. Das kann aber nur gelingen, wenn man die Erfahrung in den Wettkämpfen sammelt; da ist kein Trainer gut genug, so etwas zu simulieren, also müssen die Spieler Momente erleben, in denen eine Widerstandsfähigkeit herausgearbeitet wird.
Inwiefern?
Wir hatten ein hartes Spiel gegen Frankreich, vor knapp 30.000 Zuschauern und es waren sicher nicht alle für uns (schmunzelt). Es war der entscheidende Schritt, sich dagegen zu wehren, trotzdem bei sich zu bleiben und zu wissen, dass das Spiel auf diesen 40×20 Metern entschieden wird. Die Zuschauer können brüllen wie sie wollen, aber sie dürfen nicht über die Linie – und jenseits der Linie müssen es die französischen Spieler alleine lösen. Sich all das zu vergegenwärtigen, sich von der Atmosphäre nicht negativ beeindrucken zu lassen und es ein normales Spiel werden zu lassen: Das ist eine Entwicklung, die die Mannschaft mitgenommen hat.
Ist die Mannschaft in diesem Sinne weiter als vor dem Turnier oder auch vor der Heim-Europameisterschaft?
Das ist ein schmaler Grad. Es ist jetzt nicht so, dass es wie ein Hebel ist: Jetzt haben die Jungs es einmal geschafft, jetzt gelingt das immer – und vorher haben sie es gar nicht geschafft, weil sie nicht gut genug dafür waren. Du musst immer ein paarmal auf die Schnauze fallen, damit du das Gefühl hast, was du in diesen Momenten machen musst und was du in dem Moment vorher nicht gemacht hast. Du musst die Gabe haben, dich daran zu erinnern – in den Momenten, wo es wieder der Fall ist. Das haben die Jungs geschafft.
Nicht nur gegen Frankreich?
Nein, auch in der Gruppenphase hatten wir eine Phase gegen Spanien, in der wir zurücklagen. Es ist immer schwierig gegen Spanien, weil es sehr emotionale Mannschaft ist, aber wir haben aber dagegengehalten. Das ist uns beispielsweise gegen Kroatien aber nicht gelungen, da war die Emotionalität bei den Kroaten und wir haben nicht dagegengehalten. Es gelingt mal und es gelingt mal nicht, aber es ist auf jeden Fall die Entwicklung zu erkennen, dass uns das häufiger gelingen wird. Das sollte uns Mut machen, dass wir in Zukunft häufiger solche engen Spiele – und auf dem Niveau ist es immer eng – für uns entscheiden können.
Wie stolz bist du, dass ihr mit der jüngsten Mannschaft des Turniers das Finale erreicht habt?
Du fragst den ehemaligen Bundestrainer Jugend (lacht). Ich könnte grinsen wie ein Honigkuchenpferd, weil ich mich unglaublich freue, dass die Arbeit der Vereine und Verbände im Nachwuchsbereich Früchte trägt. Das ist total wertvoll für diese Sportart, weil die Sportart dadurch am Leben erhalten wird und sich weiterentwickeln kann. So können wir einfach für Kontinuität in dieser Sportart in Deutschland sorgen.
Wie meinst du das?
Wir schaffen Kontinuität, wenn es uns gelingt, immer wieder auch junge Leute in so eine Mannschaft zu integrieren und die Zuschauer sich identifizieren können. Die Kinder zu Hause sehen Juri oder Julian, David oder Renars und denken sich: Ich möchte auch so werden. Das ist eine totale Vorbildfunktion und das ist wichtig für unsere Sportart!
Und ohne die Junioren-Weltmeisterschaft klein zu reden: Es ist eben auch jemand wie Marko Grgic dabei, der nicht in den Junioren war und trotzdem seine Chance erhalten hat…
Es ist keine Garantie, dass man in die Nationalmannschaft kommt, nur, weil man in einem Leistungszentrum ist. Das erleichtert sicherlich oft die Situation, weil man so eine gewisse Förderebene hat, aber es gibt immer wieder Beispiele, die auch außerhalb der Förderschiene den Weg geschafft haben – wie Juri oder Marko. Unsere Aufgabe ist es, dass wir diese Leute trotzdem sehen und weiterentwickeln.
Wie?
Bei jedem Kind und jedem Jugendlichen muss man die individuelle Entscheidung treffen, ob es überhaupt der richtige Weg ist, ihn in ein Internat – ob in der unmittelbaren Region oder 500 Kilometer entfernt – zu geben oder das nicht gut wäre. Julian Köster war in Dormagen, hat es aber ohne Internat geschafft, weil er dort gewohnt hat. Es gibt verschiedene Wege und für uns ist wichtig, dass wir zeigen, dass über verschiedene Wege Nationalspieler entwickelt werden können.
Lass uns noch auf deinen Alltag während der Olympischen Spiele schauen. Was war deine Hauptaufgabe?
Ich habe viel Videoanalyse gemacht und daraus resultierend Einzelgespräche geführt. Alfred spricht viel mit der gesamten Mannschaft und gibt die große Taktik vor; die große Idee, wie wir im Angriff und Abwehr spielen wollen. Meine Aufgabe ist es, mit einzelnen Spielern zu sprechen, einzelne Situationen durchzugehen und einzelne Spieler, die vielleicht nicht vor Selbstvertrauen strotzen, mitzunehmen. Wir wollen ihnen das Gefühl geben: Du wirst gesehen, wir sprechen mit dir, wir glauben an dich und deine Stärken. Da hilft das Reden, das ist sehr wichtig.
Und was in den Trainingseinheiten rund um das Turnier möglich?
Das muss man differenzieren. Vor Olympia haben wir schon viel gemacht; das war eine richtige Vorbereitung, wo wir auch mit Grundübungen und Grundspielen gearbeitet haben – eben so, wie man sich klassisch eine Trainingseinheit vorstellt, wie es jeder Trainer auch zu Hause macht. Das ist in der Nationalmannschaft die Ausnahme. In der Regel hast du einfach wenig Zeit für diese Entwicklungs-Trainingsinhalte, die so ein bisschen den klassischen Trainingsbetrieb darstellen, denn wir gehen auf die individuelle Spielvorbereitung auf den Gegner. Was macht den Gegner besonders, worauf können wir uns vorbereiten und was sind unsere Abläufe?
Das war dann der Inhalt während des Turniers?
Genau. Je näher wir an Olympia gekommen sind, umso taktischer wurde es – und während Olympia ist es im Prinzip nur noch Taktik. Ein bisschen Werfen kommt dazu, sodass die Jungs Sicherheit bekommen – dass sich Steini [Christoph Steinert] mal Würfe von Rechtsaußen nimmt, weil es nicht seine Stammposition ist oder wir zwei drei Abläufe mit Kohli [Jannik Kohlbacher] auf Rechtsaußen durchlaufen lassen. Ansonsten stellen wir da, was wir im Video gesehen haben, was der Gegner besonderes spielt. Das Training während Olympia war Taktik, Taktik, Taktik. Das ist von der Intensität nicht hoch, das Kicken war der anstrengendste Teil (lacht).
Fußball zum Aufwärmen war also erlaubt?
Ja, das dürfen sie. Die wenigsten können es gut, aber die meisten machen es sehr, sehr gerne.
Der beste Fußballer im Olympia-Kader?
Es ist keine Kunst, das zu sagen: Juri hat schon eine herausragende Ballbehandlung, an dem ist ein Brasilianer verloren gegangen. Andere Spieler glänzen durch fantastische mannschaftsdienliche Aktionen und sind genauso wertvoll (lacht). Sie kicken gerne, alle sind aktiv, das ist ein gutes Aufwärmen. Die Jungs machen es natürlich sehr vorsichtig, es ist Pazifisten-Fußball, weil wir keinen dummen Fehler machen wollen.
Der schwedische Frauen-Nationaltrainer Tomas Axner hat gesagt, dass es eine Herausforderung sei, sich für taktische Inhalte zu entscheiden, denn nimmst du ein Thema, fehlen dir diese 15 Minuten woanders. Wie findet man dort die Balance?
Wir konzentrieren uns in der geringen Trainingszeit auf die Situationen, die wir als besonders erachtet haben in der Analyse. Wenn wir etwas erkennen oder der Gegner im Turnier vielleicht auch noch etwas geändert hat, legen wir dort den Schwerpunkt drauf. Die Slowenen haben zum Beispiel eine ungewöhnliche Überzahltaktik und die Spanier spielen die 5:1 mit Dushjebaev vorgezogen fast als Manndeckung, da müssen wir drauf vorbereitet sein. Auch auf eine Situation wie nach dem Ausfall von Tim [Tim Hornke], wo wir im Prinzip ohne echten Rechtsaußen spielen, müssen wir im Training reagieren und uns wappnen.
Zum Abschluss: Wie hast du – gerade in Paris – das Olympia-Feeling erlebt?
Ich liebe Sport. Ich bin so stolz darauf, dass mein Sohn und meine Tochter beide Sport machen und bin selbst immer im Sport gewesen. Bei uns zu Hause lief immer Olympia im Fernsehen, ich bin ein totales Sportkind. Leider habe ich nichts live gesehen, aber ich habe jede freie Minute genutzt, mich in der Mensa mit Leuten zu unterhalten oder im Fernsehen von Bogenschießen, BMX, Skateboard und Kanuslalom alles zu gucken. Das Leben im Dorf mit so vielen Athleten aus so vielen Nationen ist großartig. Wenn du durch die Kantine gehst, siehst du Leute aus Tuvalu, Vanuatu, Sierra Leonie oder Osttimor, die alle zu seinem Sportfestival zusammenkommen. Das ist Wahnsinn! Im Sport ist Olympia für mich das Größte, was es gibt.
Hinweis: Das Interview wurde in Lille nach dem Sieg im Halbfinale gegen Spanien geführt. Daher findet das Finale gegen Dänemark keine Erwähnung.