„Ein junger Spieler darf keine Angst haben, Fehler zu machen.“ Interview mit Jan Redmann
September 20, 2024| Marc Fasthoff
Der Schritt vom Jugend- in den Erwachsenenbereich ist oft ein Knackpunkt. Was muss ein junger Spieler mitbringen, damit der Schritt möglichst gut gelingt? Worauf kommt es in der Anschlussförderung an? Und worauf kommt es beim Blick auf den Trainer an? Jan Redmann stand sieben Jahre bei Männer-Drittligist HSG Rodgau Nieder-Roden an der Seitenlinie und wechselte in diesem Sommer auf den Posten des Jugendkoordinators. Im Interview spricht der A-Lizenz-Inhaber über seine Erfahrungen und verrät das Kriterium, auf das er bei Jugendspielern besonders achtete …
Es gibt aus meiner Sicht drei Grundkomponenten: Motivation, Körper und Talent – und wenn ein Spieler zwei von diesen drei Dingen mitbringt, hat er die Möglichkeit, hochklassig zu spielen. Und zwei der drei Dinge kann er selbst durch intrinsische Motivation generieren. Vielleicht – das hört sich bei meinem Alter blöd an – ist es ein bisschen alte Schule, aber durch Fleiß, den passenden Trainer und gutes Zuhören kann ein Spieler schon viel machen.
Wille schlägt Talent, wie man so schön sagt?
Ich glaube, dass Wille wichtiger ist als Talent. Wir haben viele talentierte Jungs, die jedoch manchmal nicht den notwendigen Willen mitbringen. Ich habe in den letzten Jahren beide Seiten kennengelernt; ich habe mit Jugendlichen und Erwachsenen gearbeitet, mit einer jungen Mannschaft in der 3. Liga. Am Ende ist es so, dass der Einsatz, die Motivation und der Wille in dem Sinne Talent schlagen, dass sie viel nicht-vorhandenes Talent ausgleichen können.
Inwiefern hilft es so einem Spieler, dass er schon im Jugendbereich gelernt hat, sich mehr anzustrengen, als vielleicht das Talent, das durch den Jugendbereich „geflogen“ ist?
Wir kennen es alle aus unserem Leben, dass es nicht gut ist, wenn es immer anstrengend ist. Wenn man jederzeit kämpfen muss, ist das auch nicht sinnvoll – man muss auch spüren, dass man Erfolge erzielt. Ganz ohne Talent geht es daher auch nicht; man braucht das Gefühl für das Spiel. Wenn man beides hat – Wille in Verbindung mit Talent – kann das ganz viel ermöglichen.
Aus Trainer-Perspektive: Worauf hast du bei einem Jugendspieler geachtet, wenn er zu dir in die Drittligamannschaft gekommen ist?
Heutzutage ist die Handlungs- und Entscheidungskompetenz immer entscheidender. Wenn man in der Lage ist, in unserem Spiel die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen, hat man viele Möglichkeiten. Es war ein entscheidendes Kriterium für mich, ob ein Spieler diese Fähigkeit hat – im Angriff und/oder in der Abwehr. Körperlich kann man sich alles erarbeiten, man kann viel Wille zeigen, aber diese Fähigkeit kann man sich nicht antrainieren und daher gucke ich zuerst darauf.
Magst du noch kurz erläutern, warum das so entscheidend ist?
Manche nennen dieses Können auch Spielfähigkeit. Es geht darum, in der richtigen Situation die richtige Entscheidung treffen zu können. Das geht am besten, wenn man verschiedene Fähigkeit beherrscht – alle Arten von Würfen, alle Arten von Täuschungen und seine Skills im Abwehrverhalten. Wenn ich perfekt aus meine Portfolio die richtige Maßnahme auswähle, kreiert das die entscheidenden Momente.
Sprich: Es ist schon in der Jugendausbildung wichtig, dass man den Spielern ein breites Spektrum vermittelt – und der große Spieler nicht nur lernt, sich auf seine Größe zu verlassen, weil es gerade funktioniert?
Das ist das Schöne, was wir in den letzten drei, vier Jahren erkannt haben: Die Größe ist längst kein alleiniges Kriterium mehr für die Qualität eines Spielers. Mathias Gidsel als aktueller Welthandballer ist kein 2,05-Meter-Linkshänder im rechten Rückraum, sondern hat überragende technische Fähigkeiten. Er hat ein unglaubliches Eins-gegen-Eins-Verhalten und einen fantastischen Blick für den Raum. Er zeigt, dass inzwischen eine andere Körperlichkeit gefragt – denn ich will ihm Fitness und körperliche Stärke nicht absprechen; die braucht er, um sein Pensum zu leisten – ist als die frühere Körperlichkeit, die Körperlänge entsprach.
Das spricht für genau die gewünschte Vielseitigkeit in der Ausbildung …
Seine Vielseitigkeit ist brutal! Diese Art von technischer Ausbildung ist das, was die skandinavischen Spieler uns teilweise noch voraushaben. Ich glaube jedoch, dass wir im Deutschen Handballbund gute Schritte in der Entwicklung machen.
Lass uns über die Fähigkeiten eines Spielers hinausblicken: Wie wichtig ist der Trainer in der Anschlussförderung?
Der Aktiventrainer kann das entscheidende Kriterium für Karriere sein. Gerade, wenn wir über das höhere bzw. höchste Leistungsniveau sprechen, ist es am Ende des Tages der Trainer, der entscheidet, ob er einen jungen Spieler spielen lässt oder nicht. Ich würde mir wünschen, dass sich viel mehr Trainer genau das trauen.
Inwiefern?
Ich glaube, dass wir in Deutschland sehr viele gute Talente haben, die manchmal verschwinden, weil wir Trainer uns eben nicht trauen, diese Talente spielen zu lassen. Natürlich haben wir Drucksituationen, aber ich frage mich: Kann ein junger Spieler wirklich so viel kaputt machen in so kurzer Zeit? Wir sehen es oft, dass junge Spieler durch Verletzungen auf einen Platz rutschen und diese Rolle auch ausfüllen können, sodass ihr Stern aufgeht, der sonst vielleicht nie aufgegangen wäre.
Das sehen wir auch am Beispiel Renars Uscins in der Nationalmannschaft. Er hat im Spiel um Platz 3 bei der Europameisterschaft, als Kai Häfner nicht da war, gezeigt, das er auf diesem Niveau spielen kann, hat es bei Olympia-Quali bewiesen – und ist jetzt der Hoffnungsträger. Ich glaube, dass wir uns als Trainer mehr trauen müssen.
Welche Rolle fällt dabei gerade den Trainern der Drittligisten zu, die sich auf der Grenze zwischen Leistungs- und Amateursport bewegen?
Ich möchte das gar nicht auf eine Liga beziehen, denn wir haben in jeder Liga in Deutschland Mannschaften, die in einem – ich nenne es mal – grauen Mittelfeld schwimmen und für die weder Auf- noch Abstieg ein Thema ist. Diese Mannschaften könnten junge Leute noch mehr einsetzen und da ist die 3. Liga sicherlich auch ein Teil davon. Wir haben viele etablierte Drittligisten, die natürlich immer Punkte sammeln wollen, die aber auch jungen Leute das Vertrauen schenken können, weil sie am Ende nicht absteigen werden.
Wie sieht das bei euch – der HSG Rodgau Nieder-Roden – aus?
Wir wollen das weitermachen, was wir bereits in den vergangenen Jahren gemacht haben. Wir haben eine extrem junge Mannschaft; letzte Saison lag der Altersdurchschnitt bei 22,1 Jahren und dieses Jahr dürften wir uns noch einmal verjüngt habe, da in Marco Rhein einer unser Routiniers aufgehört hat und noch einmal zwei, drei junge Spieler dazugekommen sind. Wir bekommen es gut hin, aus eigener Nachwuchsarbeit die Talente zu ziehen. Das ist sicherlich auch finanziell begründet, aber wir haben auch Lust dazu, es genau so umzusetzen. Es klappt natürlich nicht mit jedem Jugendspieler, aber wir stehen mit Überzeugung hinter diesem Konzept.
Wie schwierig ist es, wenn man schon im Jugendbereich Spielern sagen muss, dass es in Richtung Jugendbundesliga eher nicht reicht?
Das ist eine ehrlich Aussage und hilft manchmal mehr, als irgendjemanden mitzutragen und ihm den Glauben zu geben, er könnte das schaffen, obwohl man das selbst nicht sieht. Dann soll dieser Spieler lieber eine Liga tiefer, aber dort erfolgreich spielen – und so öffnet sich zugleich die Tür für jemanden anderen, den man talentierter sieht. Wenn wir einen Spieler finden, in dem wir letztendlich einen Drittligahandballer sehen, wollen wir ihm das auch vermitteln. Wir sagen dann: Wir wissen, dass es oft ein steiniger Weg ist, aber wir haben Geduld und schenken dir diese, denn wir vertrauen dir. Vertrauen und Ehrlichkeit sind in dem Prozess ganz wichtig.
Was führt dazu, dass ein Spieler diesen Schritt schaffen wird?
Er darf nicht die Geduld, nicht den Mut verlieren – und er sollte demütig sein, ohne die Frechheit eines jungen Spielers zu verlieren. Er muss sich schon etwas trauen. Und er braucht die Bereitschaft, von älteren Spieler zu lernen und zugleich das Glück, ältere Spieler in der Mannschaft zu haben, die ihn auch führen wollen.
Wenn du sagst, er dürfte nicht die Geduld verlieren: Wie lange kann oder darf sich ein Spieler Zeit lassen?
Ich kann nicht sagen, dass es immer ein, zwei oder drei Jahre sind, denn das hängt auch immer vom Spieler ab. Der talentierte Spieler braucht vielleicht weniger Zeit, wenn er den notwendigen Willen mitbringt und der mit mehr Willen braucht trotzdem ein bisschen länger, weil er weniger Talent hat und es sich erarbeiten muss. Das, worauf es ankommt, ist einfach: Ehrliche Kommunikation! Man kann als Spieler das Gespräch mit dem Trainer suchen und fragen: Lohnt sich meine Geduld noch – oder nicht? Da ist der Trainer dann gefordert, auch ehrlich zu sein und ggf. eben zu sagen: Ich glaube nicht, dass du es noch schaffst – versuch es lieber eine Liga tiefer.
Du sprichst sehr viel von Ehrlichkeit …
So ein offener und ehrlicher Prozess ist einfach wichtig – gerade dem Spieler gegenüber. Es kann sein, dass ein Spieler unter einem anderen Trainer doch noch diese Karriere macht, aber es an dieser Stelle – mit diesem Trainer, in dieser Mannschaft oder in der Situation des Vereins – einfach nicht passt. Daher muss sich jeder Trainer und jede sportliche Leitung überlegen: Sind wir ehrlich zu unseren Spielern? Und der Spieler muss sich fragen: Bin ich ehrlich zum Verein oder will ich eigentlich etwas anderes? Wenn beide jedoch ehrlich sind und es passt, kann man gemeinsam eine sportliche Perspektive aufbauen.
Was für ein Ratschlag hättest du für Trainer an dieser Stelle noch?
Es ist wichtig, immer Motivation zu vermitteln und ein offenes Ohr zu haben, dem Spieler zuhören können. Ich bin zudem überzeugt, dass man einem jungen Spieler vermitteln sollte, dass er auf dem Feld auch einen oder auch zwei Fehler machen darf und Feedback dazu nichts schlimmes ist. Ein junger Spieler darf keine Angst haben, Fehler zu machen. Das ist enorm wichtig. Ich glaube, diese Angst, Fehler zu machen, hemmt viele junge Spieler, weil sie auf dem Feld dann lieber nichts ausprobieren, um nur ja nicht ausgewechselt zu werden.
Wie bist du damit umgegangen?
Ich habe versucht, den Spielern das Gefühl zu vermitteln: Mach etwas, denn es ist meine Aufgabe, einzuschätzen, was dann überwiegt – die Gefahr, das mich das gerade Ergebnis kosten könnte oder die Erfahrung, die der junge Spieler gerade sammelt. Außerdem halte ich es für wichtig, dass junge Spieler nicht nur am Ende auf das Feld kommen, wenn das Spiel schon entschieden ist, sondern dass sie auch die Möglichkeit bekommen, wichtige Entscheidungen zu treffen. Das trägt sie enorm weiter, denn manchmal ist ein junger Spieler genau derjenige, der dem Druck stand hält, weil er sich keinen Kopf macht – oder er lernt eben, was seine Entscheidungen für Konsequenzen hat.
Zum Abschluss: Du hast dich von der Trainerbank in der 3. Liga zurückgezogen, um Jugendkoordinator zu werden. Was macht für dich den Reiz an deiner neuen Aufgabe aus?
Junge Menschen weiterzubilden und in den Handball zu bringen: Das begleitet mich schon meine ganze Trainerkarriere und auch auf meinen anderen Stationen. Der Verein lebt diese Philosophie und wir sind, das will ich auch nicht verhehlen, stolz auf jedes Talent, was den Schritt in die 3. Liga geht oder vielleicht auch den nächsten Schritt macht.
Außerdem freue ich mich, dass ich aus dem Hamsterrad rausgekommen bin, jeden Tag selbst ins Training gehen zu müssen und stattdessen meine Erkenntnisse und mein Wissen an meine jungen Trainer weitergeben kann. Ich habe ganz gezielt auch junge Trainer gesucht und sie machen es sensationell gut. Ich genieße den Austausch, von dem alle profitieren – sie lernen von mir, aber ich gewinne auch neue Ansichten von ihnen.