„Die letzten Prozentpunkte herauskitzeln“ – Interview mit Fabian Lüdke

„Die letzten Prozentpunkte herauskitzeln“ – Interview mit Fabian Lüdke

„Die letzten Prozentpunkte herauskitzeln“ – Interview mit Fabian Lüdke

September 29, 2023| Marc Fasthoff

Fabian Lüdke führte gemeinsam mit Vorstandsmitglied Alexander Haase im Rahmen der U21-Weltmeisterschaft eine Fortbildung zum Thema „Live-Videoanalyse in der Halbzeit“ durch. Der A-Lizenz-Inhaber wurde in der vergangenen Saison mit den Füchsen Deutscher Meister in der B-Jugend und war darüber hinaus als Co-Trainer beim Zweitligisten VfL Potsdam. Im Interview erklärt Lüdke die Prinzipien der Live-Videoanalyse und gibt Tipps, was Trainer bei einer „normalen“ Videoanalyse in der Spielvor- bzw. Nachbereitung beachten sollten…

Fabian, um zunächst einmal die Leser abzuholen, die von einer Live-Videoanalyse in der Halbzeit noch nichts viel gehört haben: Was darf man sich darunter genau vorstellen?

Prinzipiell ist es ganz einfach: Wir schneiden parallel zum Spiel in der ersten Halbzeit Szenen zusammen, die sich für die Besprechung in der Halbzeit eignen. Oft wird dabei in einer inhaltlichen Vorbesprechung mit dem Trainerteam festgelegt, auf welche Schwerpunkte wert gelegt werden soll und diese Situationen werden dann gezielt herausgearbeitet.

Die Besprechung in der Halbzeit kann dabei sowohl in der Kabine mit den Spielern stattfinden als auch nur mit dem Trainer. Damit eine Live-Videoanalyse erfolgreich ist, ist die Interaktion zwischen Videoteam und Trainerteam extrem wichtig, um auch wirklich die passenden Elemente aus der 1. Halbzeit in die Besprechung einfließen lassen zu können.

Warum kann sich eine Live-Videoanalyse aus deiner Erfahrung lohnen?

Letztendlich geht es darum, die letzten Prozentpunkte, die vielleicht einen Unterschied machen können, herauszukitzeln. Meine ersten Versuche mit der Live-Videoanalyse haben während meiner Hospitation für die A-Lizenz stattgefunden. Damals habe ich alleine mit Kamera und Laptop in der Halle gesessen und der U19-Nationalmannschaft einige Szenen präsentiert.

Danach hat es sich langsam ausgeweitet, bis wir beim 1. VfL Potsdam in der Aufstiegsrunde 2022 Personal und Material angeschafft haben, um im Kampf um den Aufstieg in die 2. Bundesliga eben jene zusätzlichen Prozentpunkte gewährleisten zu können. Alexander Haase und ich haben damals gemeinsam als Videoteam für Bob Hanning und Daniel Deutsch acht Spiele analysiert und es hat sehr gut funktioniert.

Was kann man durch eine Live-Videoanalyse in der Halbzeit besonders gut vermitteln?

Mit der Live-Videoanalyse lässt sich die zweite Halbzeit besser einleiten. Auf dem Leistungsniveau, wo dieses Tool zum Einsatz kommt, trainiert ein Team die ganze Woche für das Ergebnis am Wochenende. Die Mannschaften liegen auf dieser Ebene nah beinander und weil sich die beiden Gegner aufeinander vorbereiten, kann es einen Unterschied machen, wenn man den Gegner bestmöglich entschlüsselt.

Genau da setzt die Live-Videoanalyse an: Man kann sich unmittelbar angucken, welche Stärken des Gegners man beispielsweise nicht gut verteidigt hat oder oder was der Gegner in der Abwehr anders macht als erwartet – und daraus kann man Rückschlüsse für die zweite Halbzeit ziehen. Das kann man als Trainer den Spielern in einem Video deutlich besser präsentieren als nur durch eine mündliche Erklärung oder das Geschiebe von Magneten an einer Taktiktafel. Durch ein Video wird eine Analyse ein Stückweit objektiver, denn es ist eben nicht nur ein Gefühl aus der Emotion heraus, sondern man kann genau sagen, was man anders bzw. besser machen muss.

Aus der Praxis: Worauf kommt es bei den Videos einer Live-Analyse an – vielleicht auch im Vergleich zu einer „normalen“ Videoanalyse in der Vor- und Nachbereitung eines Spiels?

Es braucht Mut zur Lücke. In der Vorbereitung kann man mehrere Spiele auswerten und sich jedes Detail anschauen, wenn man das möchte. Das ist bei der Live-Videoanalyse nicht möglich. Man muss die ausgewählten Szenen in einem kleinen Zeitfenster sortieren und vielleicht auch noch welche streichen. Hinzu kommt der Weg vom Videotisch in die Kabine. Daher kann man die letzten fünf Minuten des ersten Durchgangs in der Regel nicht sehen. Das ist natürlich ein Nachteil, denn wenn man sich bei einem Fünf-Tore-Vorsprung vom Videotisch in Richtung Kabine aufmacht und das Team diesen Vorsprung von der 26. bis zur 30. Minute noch hergibt, fehlt natürlich ein wichtiger Teil in den Videobildern. Daher kann bei man einer Liveanalyse nicht damit rechnen, dass alles zu hundert Prozent korrekt und umfassend ist. Es lassen sich jedoch immer Tendenzen ablesen und Schlüsselszenen zeigen.

Was ist für den Trainer, der mit den Videobildern arbeitet, vielleicht noch anders?

Als Trainer musst du dir klar sein, dass du die Informationen in aller Kürze präsentieren musst. Eine Halbzeitpause dauert nur zehn Minuten, zudem muss man den Weg in die Kabine und zurück zum Spielfeld einberechnen und man will ja auch abseits der Videobilder noch Worte an die Mannschaft richten, um sie zu emotionalisieren. Daher bleiben maximal fünf Minuten vor die Videoanalyse, da muss die Präsentation knackig sein. Außerdem muss die Mannschaft es natürlich gewöhnt sein, mit Video zu arbeiten und es darf kein komplett neues Setting sein. Denn Informationen von Videobildern zu verarbeiten, ist ein Übungsprozess.

Inwiefern muss man die Spieler gezielt darauf vorbereiten, dass zusätzlich auch in der Halbzeit Videos genutzt werden?

Wir haben das mit den Spielern nicht reflektiert, aber aus meiner Perspektive stellt es keinen großen Unterschied darf. Auf dem Leistungsniveau sind Videobesprechungen alltäglich, daher ist es keine Umstellung durch eine neue Methode. Ich glaube, die Spieler sind eher dankbar, dass man ihnen Livebilder zeigt statt Magneten auf der Tafel zu schieben. Am Video lassen sich beispielsweise in der Kommunikation mit der Nachbarposition gezielt Korrekturen vornehmen, das kann keine Taktiktafel ersetzen.

Welche Ausstattung ist für eine Live-Videoanalyse notwendig?

Das ist natürlich mit einem gewissen Aufwand verbunden. Man braucht eine Kamera mit Stativ, ein Modem, was das Signal umwandelt und ein Laptop mit Schnittprogramm. Wir haben mit sportimization geschnitten, die haben explizit die Funktion der Liveanalyse. Das wäre die Hard- und Software. Personell sind ein Techniker und ein Analyst das Minimum. Der Techniker schwenkt die Videokamera, sodass der Analyst sich komplett auf die Auswahl der Szenen konzentrieren kann und nicht daran denken muss, die Kamera zu bewegen. Der Analyst  sollte nicht nur die Sportart verstehen, sondern möglichst auch die möglichst gleiche Sichtweise wie der Trainer haben, damit er weiß, welche Szenen dieser braucht. Nur so entsteht ein sinnvoller Output. In der Aufstiegsrunde in Potsdam haben wir sogar zu dritt gearbeitet – ein Techniker sowie Alex Haase und ich als Analysten.

Abseits der Aufstiegsrunde: Wie findet die Liveanalyse bei euch in der Saison Anwendung?

In der letzten Saison war ich Co-Trainer beim VfL Potsdam, daher war ich aus dem Videoteam raus und es kam auch nicht mehr zum Einsatz. Wir haben es bei den Füchsen Berlin aber im Zuge der Deutschen Meisterschaft der Jugend einfließen lassen. Ich glaube, dass es abseits von Soft- und Hardware jedoch eine Ressourcenfrage ist. Der Analyst muss Ahnung von der Liga haben, deren Spiele er analysieren soll – also brauchst du für die 2. Bundesliga theoretisch jemanden, der auch 2. Bundesliga trainieren könnte. Und zugleich ist nicht jeder Trainer ein guter Analyst…

Du hast den hohen Aufwand selbst schon angesprochen. Auf welchem Niveau lohnt sich die Liveanalyse?

Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es in der Oberliga oder unterhalb einen großen Mehrwert hat – es sei denn, ich bin im mittleren Leistungsbereich ein Aufstiegsaspirant und will das Maximum rausholen. Ich empfehle für das Niveau stattdessen lieber, die eigenen Spiele aufzunehmen und diese anschließend in der Eigenanalyse und Eigenbetrachtung auszuwerten. Es sollte dabei gar nicht darum gehen, was der Gegner kann, sondern man sollte ausschließlich Rückschlüsse für das eigene Training ziehen. Das Spiel ist ja schließlich die Überprüfung meiner wöchentlichen Arbeit. Wenn ich das reflektiere und meine Mannschaft besser mache, holte ich bei zwei- bis dreimal die Woche Training das Maximum aus der Videoanalyse heraus.

Was wären deine Tipps, um die Videoanalyse mit der Mannschaft zu schulen?

Schau auf deine eigene Mannschaft! Wir gucken viel zu häufig auf das, was andere machen. Ein Trainer wäre stattdessen gut beraten, darauf zu achten, was man selbst besser machen kann. Dafür empfiehlt es sich, kurz und knackig die zentralen Schlüsselszenen zu analysieren. Dafür muss man sich als Trainer zunächst klar werden: Was sind meine Spielprinzipen und wie kann ich sie weiterentwickeln? Wenn ich beispielsweise intensiv an der 6:0-Abwehr arbeite, sollte ich beim Videostudium darauf achten, wie die Verhaltensweisen auf dem Feld in der Verteidigung waren. Das acht- bis zehnminütige Video kann ich dann gut vor dem Training zeigen und die passenden Inhalte im Training folgen lassen.

Was kann eine Videoanalyse nicht leisten?

Eine Videoanalyse ersetzt kein gutes Training. Ich habe es auch mehrfach erfahren, dass ich Dinge gezeigt habe, die mir wichtig waren und nichtsdestotrotz ist genau das im Spiel nicht gelöst worden. Nur, weil ich als Trainer beispielsweise eine Videoszene zu einem bestimmten Abwehrverhalten zeige, bekommt mein Team nicht automatisch auf diesem Weg kein Gegentor mehr. Man hat durch die Videoanalyse einen Informationsvorsprung, aber der muss in einem guten Training verarbeitet werden. Als Trainer kann man sich beispielsweise fragen: Wie wollen wir bestimmte Regelbewegungen des Gegners ausnutzen? Und nachdem man das im Video gezeigt hat, muss es im Training praktisch umgesetzt werden. Das Video ist ein Zusatz – ein guter Zusatz, der gerade im Leistungsbereich nicht wegzudenken ist -, aber ein Video ersetzt a) nicht das Training und macht b) keinen Spieler besser.

Zum Abschluss, ein kleiner Rückblick auf eure Fortbildung im Rahmen der U21-Weltmeisterschaft: Wie wurde die Live-Videoanalyse nach deinem Gefühl angenommen?

Meine Wahrnehmung war sehr positiv, es war ein großes Interesse da und die Teilnehmer haben einen tiefen Einblick bekommen, auch in den Bereich der Handballtaktik. Es waren viele Coaches aus dem mittleren und unteren Leistungsbereich dabei und wir haben für sie versucht, auch viele taktische Dinge aufzuzeigen. So ist vielleicht – hoffentlich – punktuell ein verbessertes Verständnis erstanden. Und auch rein vom Ablauf und Prozedere können wir nur zufrieden sein: Eine Fortbildung eingebettet in eine Junioren-WM im eigenen Land – mehr Handball ging für die Teilnehmer an diesem Tag nicht.

Glückskinder TV Arnsberg – Deutscher Engagementpreis

Glückskinder TV Arnsberg – Deutscher Engagementpreis

Glückskinder TV Arnsberg – Deutscher Engagementpreis

September 27, 2023| Marc Fasthoff

Die TVA – Glückskinder sind eine Handballmannschaft für Kinder mit Entwicklungsverzögerungen und den Mitgliedern der DHTV bereits bekannt.

Als Inklusionspreisträger 2022 der Stadt Arnsberg, wurden die Glückskinder für den Deutschen Engagementpreis nominiert. 390 Projeket wurden für den Engagementpreis 2023 nominiert. Bereits die Nominierung ist eine besondere Auszeichnung für das gesellschaftliche Engagement des TV Arnsberg 1861 e.V.. Der deutschlandweit bekannte und bedeutende Preis ist in seine zweite Phase getreten.

Bis zum 24. Oktober findet die öffentliche Abstimmung über den Publikumspreis statt. Alle Nominierten können sechs Wochen lang für sich werben. Die Teilnahme sorgt für hohe mediale Aufmerksamkeit und macht das vielfältige Engagement aller Nominierten sichtbar. Das Preisgeld beträgt 10.000 Euro.

Der Link zur Abstimmung lautet: TVA Glückskinder – Handball ist für ALLE da! (deutscher-engagementpreis.de)

Fortbildungsangebot – „Gemeinsam statt Einsam“

Fortbildungsangebot – „Gemeinsam statt Einsam“

Fortbildungsangebot – „Gemeinsam statt Einsam“

September 18, 2023| Marc Fasthoff

Am 13.10. lädt der Handball-Verband Brandenburg gemeinsam mit der Deutschen Handballtrainervereinigung und dem 1. VfL Potsdam zu einer weiteren Fortbildung unter dem Motto „gemeinsam statt einsam“ ein. Trainerinnen und Trainer sowie Schiedsrichterinnen und Schiedsrichter werden im Rahmen des Zweitligaspiels zwischen dem 1. VfL Potsdam und der TuS N.-Lübbecke zum Thema Spielvorbereitung und Videoanalyse in ihren jeweiligen Bereichen neueste Erkenntnisse teilen.

Für den Bereich der Coaches referieren Fabian Lüdke, frisch gebackener Deutscher B-Jugend-Meister und Alexander Haase, ehemaliger Co-Trainer der Deutschen Handball-Nationalmannschaft, zum Thema Spielvorbereitung und führen mit Hilfe einer Demonstrationsmannschaft ein Abschlusstraining durch, das unmittelbar auf das anschließende Spiel in der MBS-Arena vorbereiten soll. Die Schiedsrichter unter der Leitung des ehemaligen Eliteschiedsrichters Marc Fasthoff, der kürzlich auch im DHB-Schiedsrichterwesen die Leitung des Bereichs Organisation übernommen hat, kümmert sich gemeinsam mit dem brandenburgischen Topgespann Lukas und Robert Müller um den Teil der Referees. Höhepunkt soll am Ende der Veranstaltung ein gemeinsamer Talk sein, an dem Videoschnipsel der Begegnung ausgewertet und auch der Potsdamer Trainer Bob Hanning sowie eventuell die Schiedsrichter der Begegnung zu Wort kommen werden.

Die Fortbildung umfasst 5 Lehreinheiten zum Preis von 55,-€. Ausschreibung: Gemeinsam statt Einsam . Angemeldet werden kann sich unter info@hvbrandenburg.de – DHTV-ler erhalten einen Zuschuss.

„Volle 60 Minuten“ – online im September

„Volle 60 Minuten“ – online im September

„Volle 60 Minuten“ – online im September

September 14, 2023| Marc Fasthoff

HIER EINLEITUNGSTEXT

Im September geht es natürlich weiter mit unserem Angebot „Volle 60 Minuten“ 😊
Zu Gast zum Interview wird Peter Behrens aus dem Lehrstab des Deutschen Handballbundes sein.
Der ehemalige Gespannpartner von unserem Vorstandsmitglied Marc Fasthoff wird am 20. September (19 bis 20 Uhr) einen tiefen Einblick in die Neuerungen und regeltechnischen Klarstellungen zur Saison 2023/24 geben.

📆Mittwoch, 20. September

⏰19:00 bis 20:00 Uhr

📌Der Link für alle Online-Vorträge von „Volle 60 Minuten“ bei » Zoom

„Kommunikation ist ein Geben und Nehmen“ – Interview mit Lars Geipel

„Kommunikation ist ein Geben und Nehmen“ – Interview mit Lars Geipel

„Kommunikation ist ein Geben und Nehmen“ – Interview mit Lars Geipel

August 10, 2023| Marc Fasthoff

Im Juni fand im Rahmen der U21-Weltmeisterschaft die nächste Auflage unserer „Gemeinsam statt einsam“-Fortbildungsreihe statt. Trainer und Schiedsrichter wurden gemeinsam geschult und konnten dabei mit der jeweils „anderen Partei“ in den Austausch kommen.

Um das Verhältnis zwischen Trainern und Schiedsrichtern geht es auch im Interview diesen Monat: Der frühere Olympia-Schiedsrichter Lars Geipel blickt auf das Spannungsfeld zwischen beiden Seiten, wirbt für die Vorteiles eines Perspektivwechsels und gibt aus seiner Erfahrung Tipps, wie der Balanceakt zum Vorteil für beide Seiten gelingen kann…

Lars, worauf kommt es im Verhältnis Trainer und Schiedsrichter an?

Der wichtigste Punkt: Beide Seiten müssen offen und bereit sein für eine Kommunikation. Ebenso müssen beide Seiten wissen, dass ein sachlicher und fachlicher Austausch immer schwieriger wird, je mehr Emotionen ins Spiel kommen. In diesem Fall sollte man das Gespräch möglichst vertragen. Eine Diskussion muss nicht unmittelbar nach dem Spiel – oder sogar im Spiel – stattfinden.

Welche Erfahrung hast du aus deiner eigenen Karriere in Punkto Trainer-Kommunikation mitgenommen?

Wenn ein gegenseitiges Verständnis da ist bzw. durch die Kommunikation nach und nach geschaffen wird, ist allen Beteiligten geholfen. Wir waren schon immer sehr kommunikativ und uns war auch das Feedback der Trainer immer wichtig, weil sie ein Spiel aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten. Dieser Perspektivwechsel ist unfassbar sinnvoll – für beide Seiten. Genauso empfiehlt es sich für Trainer, die Schiedsrichter-Perspektive einzunehmen bzw. sich diese von einem Unparteiischen erklären zu lassen.

Wenn wir zunächst auf die Schiedsrichter-Perspektive schauen: Wie funktioniert eine gelungene Kommunikation mit der Trainerbank?

Das lässt sich nicht pauschalisieren, denn Kommunikation ist total typenabhängig. Es mag eine Binsenweisheit sein, aber jeder Mensch ist unterschiedlich – und Trainer und Schiedsrichter sind nun einmal auch Menschen (lacht). Es ist daher schlicht und einfach „Trial and Error“. Ein Schiedsrichter muss Erfahrungen machen, die gut sind und ebenso solche, die nicht so gut sind. Und aus diesem Erfahrungsschatz kristallisiert sich für jeden Schiedsrichter die Linie heraus, die zur eigenen Persönlichkeit passt.

Wie nimmt man – gerade als junger Schiedsrichter – aus den Fehlern beim „Trial and Error“-Prinzip etwas mit?

Auch das lässt sich nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich muss sich ein Schiedsrichter, wenn ein Spiel völlig aus dem Ruder gelaufen ist, selbstkritisch hinterfragen, warum das passiert ist. Wenn man ehrlich zu sich ist, entdeckt man oft schnell die Stellschrauben, an denen man drehen kann. In Sachen Kommunikation ist es oft die Kunst, den Mittelweg zu finden: Ein Schiedsrichter muss offen sein für Kommunikation, aber zugleich ganz klare Grenzen setzen, denn man darf im Spiel keine Diskussionsrunde aufmachen. Komplett zuzumachen, ist allerdings auch nicht sinnvoll, denn das hält man nicht über 60 Minuten durch.

Und wie findet man genau diesen schmalen Grad zwischen zu viel und zu wenig Kommunikation?

So doof es sich anhört: Trial and Error (schmunzelt). Man braucht als Schiedsrichter sehr viel Empathie, um zu erkennen, was die richtige Ansprache in der richtigen Situation ist. Wenn man länger pfeift, kennt man sicherlich viele Trainer und Spieler irgendwann und weiß, wie sie reagieren. Eine Schablone gibt es dennoch nicht. Es ist abhängig von der eigenen Persönlichkeit, von der Persönlichkeit des Trainers und den Rahmenbedingungen des Spiels. Ein Gefühl zu entwickeln, welche Ansprache in welcher Situation richtig ist, macht am Ende den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Schiedsrichter aus.

Wie sehr kann der von dir bereits genannte Perspektivwechsel dabei helfen, dieses Gefühl zu entwickeln?

Jeder Austausch mit einem Trainer kann bereichernd sein. Ein Trainer wie Velimir Petkovic ist anders als Kai Wandschneider, ein Kai Wandschneider anders als Martin Schwalb und ein Martin Schwalb anders als ein Bob Hanning. Wir mussten mit jedem von ihnen sehr unterschiedlich kommunizieren und das hat auch viel mit Psychologie zu tun, aber wir haben dabei auch sehr viel gelernt. Es ist unfassbar spannend. Wenn man mit Trainern spricht, bekommt man einen Einblick in ihre Gedankenwelt.

Was würdest du Schiedsrichter raten, die für sich feststellen, dass sie keinen Draht zu Trainern finden bzw. sich in der Kommunikation extrem schwer tun? Was könnten sie – pauschal gesagt – eventuell versuchen, um daran zu arbeiten?

Sie könnten die Kommunikation außerhalb der Halle trainieren. Letztendlich stellt sich eine Frage: Wie gehe ich auf fremde Menschen zu? Wenn man also beispielsweise im größeren Freundeskreis unterwegs ist, lohnt es sich, sich nicht zurückzuziehen, sondern offen zu sein und nachzufragen. Sich auch für neue Menschen zu interessieren und versuchen, sich in ihre Rolle hineinzuversetzen. Das ist eine schöne Übung, um herausfinden, wie der Gegenüber tickt und ein gutes Training für die Halle.

Auch in der Partnerschaft kann man den Perspektivwechsel gut trainieren. Man kann sich immer wieder hinterfragen: Warum fragt mein Partner jetzt das oder warum reagiert er so, obwohl ich das doch anders gemeint habe? Viele Partnerschaften zerbrechen, weil nicht oder nur aneinander vorbei geredet wird – und genauso ist es oft auf dem Feld. Sowohl Trainer als auch Schiedsrichter reden zwar, aber sie reden aneinander vorbei. Das kann nicht funktionieren. Man kommt erst voran, wenn man gegenseitig Verständnis zeigt und Argumente sachlich austauscht.

Wechseln wir die Seite: Was würdest du einem Trainer raten, der das Gefühl hat, einfach nicht mit den Schiedsrichter in den Dialog zu kommen?

Das ist derselbe Punkt nur aus der anderen Perspektive. Man muss sich klarmachen: Es ist in der Kommunikation ein Geben und Nehmen. Daher kann ich nur empfehlen, vor dem Spiel in den Austausch mit den Schiedsrichtern zu gehen und so einen ersten Eindruck zu gewinnen, wie sie ticken und wie ich sie ansprechen kann. Wichtig ist auch eine positive Grundkommunikation. Selbst, wenn man schon eine schlechte Erfahrung mit diesem oder jenen Gespann gemacht hat, sollte man das ausblenden statt zu befürchten, jetzt wieder verpfiffen zu werden. Neues Spiel, neues Glück!

Hand aufs Herz: Gelingt es den Schiedsrichtern wirklich, neutral in eine Partie zu gehen, wenn das letzte Aufeinandertreffen nicht gut gelaufen ist?

Einen Haken an ein Spiel zu setzen, ist für einen Schiedsrichter ein elementar wichtiger Punkt. Es muss klar sein: Jedes Spiel fängt bei Null an. Natürlich ist es typenabhängig, ob man das sofort kann oder sich damit schwerer tut, aber es ist vor allem eine Einstellungssache. Ein Schiedsrichter wird es nur dann nach ganz oben schaffen, wenn er abhaken kann, was im Vorfeld gelaufen ist. Der Hinterkopf darf einen weder positiv noch negativ beeinflussen. Man muss frei in jedes Spiel gehen und bereit sein, auf Augenhöhe zu kommunizieren – das gilt für beide Seiten.

Ein oft kritischer Punkt im Verhältnis zwischen Trainern und Schiedsrichter ist das Bankverhalten. Wie viel bekommt ein Schiedsrichter wirklich davon mit, was an den Bänken passiert?

Natürlich bist du als Schiedsrichter auf das Spielfeld von 20×40 Metern fokussiert, aber wenn ein Trainer an der Bank Theater macht, kriegst du es mit, weil es sich oft auf die Spieler überträgt. Ich sage mal so: Kein Schiedsrichter wird jubeln, wenn Daueralarm auf der Bank ist (lacht). In so einem Fall muss man das klar reglementieren.

Was würdest du den Trainern für das Bankverhalten empfehlen?

Ein Trainer, der sich nur auf die Mannschaft konzentriert, wäre für den Schiedsrichter natürlich der Idealfall, aber das kommt natürlich so gut wie gar nicht vor. Ich kann jedem Trainer nur dazu raten, sich an die Spielregeln zu halten, die der Schiedsrichter vorgibt. Ein guter Schiedsrichter macht deutlich, was er an Kommunikation zulässt und was nicht – und ein cleverer Trainer bewegt sich innerhalb dieser Grenzen und lotet maximal den Graubereich aus, wenn er sich zum Beispiel eine gelbe Karte abholt, um die Mannschaft aufzuwecken. Das Zusammenspiel zwischen Trainer und Schiedsrichter ist letztendlich wie beim Fußball, wenn man einen Pass bekommt und entscheiden muss: Spielt man den Ball sauber zurück oder verdribbelt man sich lieber hoffnungslos (lacht).

Zum Abschluss: Die DHTV pflegt seit einigen Jahren die Fortbildungsreihe „Gemeinsam statt einsam“, in deren Schiedsrichter und Trainer gemeinsam geschult werden. Wie wichtig ist ein solcher Austausch abseits des unmittelbaren Spielfeldes aus deiner Sicht?

Ich habe es immer als sehr bereichernd empfunden, wenn Trainer zu unseren Lehrgängen eingeladen waren oder wir in der Vorbereitung ein Team besucht haben, um Regelschwerpunkte zu erläutern und mit den Spielern in die Diskussion zu gehen. Dieser Austausch muss unbedingt auf allen Ebenen und in verschiedenen Formaten fortgesetzt und ausgebaut werden! Denn im Handball steht für die Trainer natürlich der Erfolgsgedanke an oberster Priorität und die Schiedsrichter wollen gut aus einem Spiel rausgehen: Das ist natürlich ein Spannungsfeld, das sich nie auflösen wird. Aber jeder Austausch ist für die gegenseitige Akzeptanz und den Respekt absolut förderlich – und damit wünschenswert.