„Die Kunst ist, dass die Peitsche sich nicht anfühlt wie eine Peitsche.“ mit Konrad Bansa

„Die Kunst ist, dass die Peitsche sich nicht anfühlt wie eine Peitsche.“ mit Konrad Bansa

„Die Kunst ist, dass die Peitsche sich nicht anfühlt wie eine Peitsche.“ mit Konrad Bansa

Mai 23, 2024| Marc Fasthoff

Schweißtreibende Waldläufe und Schufterei auf der Laufbahn: Während die Bundesligasaison noch läuft, beginnt in diesen Wochen im unteren und mittleren Leistungsbereich bereits die Vorbereitung. Worauf ist bei der Planung der Vorbereitung zu achten – und wie motiviert man seine Spieler für diese ungeliebte Zeit? A-Lizenz-Trainer Konrad Bansa, der aktuell in der Halle eine männliche C-Jugend in seinem Heimatverein trainiert und Jugend-Nationaltrainer im Beachhandball ist, hat im Interview ein, zwei Ratschläge parat …

Quelle: TSG Münster

Konrad, worauf kommt es bei der Planung der Saisonvorbereitung an?

Die Saisonvorbereitung ist eine besondere Zeit für die Mannschaften, um sich taktisch und athletisch neu zu formieren und zugleich als Team zusammenzuwachsen. Wir sollten als Trainer alle drei Bereiche einkalkulieren – und der Plan, den wir aufstellen, sollte einerseits einen roten Faden beinhalten, aber andererseits variantenreich genug ist, um für die Spieler ständig neue Reize zu erhalten.

Genau das ist die Schwierigkeit, denn die saisonfreie Zeit kann sich – je nach Spielklasse – durchaus über vier oder sogar fünf Monate ziehen …

Für die Planung gibt es verschiedene Möglichkeiten. Pauschal lässt sich kein Ratschlag geben, da es von der Spielklasse und der Motivation der Spieler, aber auch von Hallenverfügbarkeit und Sommerferien abhängt. Die klassische Variante ist sicherlich das Training in zwei Blöcken:

Ein Block wird nach der ersten Pause nach Saisonende und Abschlussfahrt angesetzt, in dem die Grundlagen mit dem neuen Team gelegt werden. Danach folgt die Sommerpause, bevor man dann in den intensiven zweiten Block geht, der mit dem Saisonstart abschließt. Dabei gilt es natürlich, aufzupassen, dass man in der Sommerpause nicht zu viel von dem verliert, was man sich im ersten Block erarbeitet hat.

Was wäre eine andere mögliche Variante?

 

Ich trainiere aktuell eine C-Jugend und in diesem Altersbereich halte ich sehr viel von einer kompakten Saisonvorbereitung von fünf, sechs Wochen vor dem Saisonstart. Natürlich ist das abhängig von den Sommerferien, sodass man eventuell Abstriche machen muss. Die Phase vor den Sommerferien nutze ich, um intensiv an der individuellen Weiterentwicklung zu arbeiten – und nach den Sommerferien geht es in die Saisonvorbereitung als Mannschaft, in der ich intensiv daran arbeite, das Team zusammenzubringen.

Inwiefern wären die Sommerferien im Jugendbereich dann komplett eine Pause?

Da die Sommerferien natürlich Urlaubszeit sind, ist ein Mannschaftstraining oft schwierig – natürlich je nach Spiel- und Altersklasse. Ich würde eine strukturierte Saisonvorbereitung ab der leistungsorientierten C-Jugend – sprich im gehobenen Grundlagentraining – anvisieren. Dann erhalten die Spieler zumindest für den Fitnessbereich auch Aufgaben für die trainingsfreie Zeit mit. Es gibt aber natürlich auch jüngere Spielerinnen und Spieler, die motiviert sind und das vielleicht fordern, dann kann ich natürlich ebenfalls kleine Aufgaben verteilen.

Kommen wir zurück in den Erwachsenenbereich: Wie lang können bzw. sollten Pausenzeiten sein?

Für Spieler und Trainer ist eine Pause für Körper und Geist notwendig. Pausenzeiten sollten also ganz bewusst eingeplant werden. Die Länge ist natürlich spielklassenabhängig, weil die Intensität und Belastung ja unterschiedlich sind. Generell gilt aus meiner Sicht aber, die notwendige Pause möglichst gering halten. Wir können ja nicht zwei Monate gar nichts tun, denn dann beginnen wir bei minus Zehn statt bei Null (schmunzelt).

Wie gestaltet man die teilweise mehrmonatige Saisonpause – in der das Wettkampfziel fehlt – abwechslungsreich?

Jeder Trainer muss für sich seinen Weg finden. Grundsätzlich sind gerade in der ersten Vorbereitungsphase verschiedenste Bausteine möglich – vom Training mit vielen Spielformen über Rasen- oder Beachhandballturniere bis hin zur Integration anderer Sportarten. Man kann beispielsweise einen Triathlon gemeinsam bestreiten oder Schwimmen bzw. Radfahren auch einzeln integrieren. Letztendlich geht es neben der Verbesserung der athletischen bzw. technisch-taktischen Grundlagen darum, mit dem Team zusammenzukommen, aber zeitgleich raus aus der Halle zu kommen.

Warum ist das so wichtig?

Die neuen Impulse stärken den Teamzusammenhalt der neuen Mannschaft – und gerade, wenn man andere Events als Team absolviert, finden Neuzugänge oft gut ins Team. Sehr spannend finde ich auch die Idee vom Handball-Cross, das Michael Biegler entworfen hat. Dabei werden handballspezifischen Bewegungen mit einem Rundlauf verbunden, um die Vielfältigkeit des Spiels abzubilden und eben nicht nur stumpfe Runden auf der Bahn oder im Wald zu laufen.

Was kam bei den Teams gut an, die du trainiert hast?

Ich war abseits der Jugend meistens mit Männerteams unterwegs – und die waren oft mit guten Vorgaben bei Kraft- und Lauftraining plus Fußball zufriedenzustellen (lacht). Ich habe mal bei einem Team eine Radtour und ähnliche Aktivitäten angeboten, aber im Gespräch mit der Mannschaft stellte sich dann heraus: Die Spieler wollten sich eher durch die Laufrunden auf der Laufbahn beißen und den Rest der Zeit nutzen, um eine Runde zu kicken. Es ist vielleicht nicht ganz so schön, aber effektiv. Ich glaube daher, dass man auch ein bisschen auf die Mannschaft eingehen sollte.

Sprich: Statt mit einem durchgestylten Plan aufwarten, bei dem das Team meutert, lieber das Gespräch suchen?

Der Trainer muss natürlich der Chef sein, aber man muss die Mannschaft mitnehmen. Es bringt oft mehr, wenn die Spieler, die ja grundsätzlich Leistung bringen und besser werden wollen, auch motiviert dabei sind – und nicht nur denken: „Wann habe ich dies oder jenes endlich hinter mir?“ Bei meiner C-Jugend spielt Beachhandball dabei eine große Rolle – ich schalte vor das Training im Sand gerne einen Waldlauf. So haben wir den Ausdauertrainingseffekt gesetzt, aber der Sand stellt eine hohe Motivation da, zum Training zu kommen. Der Spaßfaktor im Sand ist groß, und die athletischen Fähigkeiten für Sprungkraft und Antritt nehmen sie nebenbei mit – und wir schulen auch noch Technik und Taktik.

Das klingt nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“…

Die Kunst als Trainer ist es, dass die Peitsche sich nicht anfühlt wie eine Peitsche (lacht). Wenn ich eine zusätzliche Laufeinheit für die Kreisliga-Mannschaft mit einem anschließenden Grillen im Garten verbinde, habe ich auf der einen Seite die Trainingsintensität gesteigert und auf der anderen Seite zufriedene Spieler (schmunzelt).

Ich glaube, es ist ganz wichtig, den Spielern zu vermitteln, dass sie das Gefühl der Qual auch annehmen müssen – indem man den Belastungsreiz nicht zu hoch setzt, sondern individuell und mit kleinen Dosen startet, sodass jeder Erfolgserlebnisse hat. Wenn die Spieler merken, dass sie nach und nach fitter werden, stellt sich das Gefühl des Erfolgs ein.

Gerade Intervallläufe lassen sich auch zur Willensschulung nutzen. Und ich nehme auch bei normalen Läufen immer die Zeit, um erstens selbst die Tagesleistung der Spieler einschätzen zu können und zweitens kann man die Spieler mit „Sekunden klauen“ gezielt und auf ihrem Niveau motivieren, indem man beispielsweise sagt: Heute zwei Sekunden weniger pro Runde.

Falls ich jedoch von Anfang an mit einem Programm starte, was sich an den fitten Spielern orientiert, verliere ich andere Spieler – ebenso übrigens umgekehrt, wenn sich der fitte Spieler unterfordert fühlt. Daher ist ein Programm ideal, in dem jeder sich auf seinem Niveau ein bisschen quälen muss, aber danach nicht völlig demotiviert ist. Das ist natürlich extrem situations- und spielerabhängig.

Wie viel in der Vorbereitung wäre zu viel?

Das ist schwierig zu sagen und hängt natürlich auch von der Spielklasse und der Trainingsfrequenz ab. Wenn wir von zwei bis drei Trainingseinheiten im Schnitt ausgehen, brauche ich keinen sieben Einheiten in der Vorbereitung ansetzen. Generell ist eine Steigerung jedoch sinnvoll, da ja die Belastung des Spielbetriebs nicht da ist. Wochenendeinheiten sind dafür aus meiner Erfahrung eine gute Option – gerade, wenn ich vielleicht nicht Zeit und Geld habe, um in ein echtes Trainingslager zu fahren. Die Spieler sind am Wochenende mental ganz anders ausgeruht als unter der Woche nach einem stressigen Arbeitstag und man hat eventuell auch mal länger die Halle, sodass man bestimmte Inhalte intensiver bearbeiten kann.

Gibt es in der Vorbereitung ein No-Go, vor dem du ausdrücklich warnen würdest?

Es gibt natürlich nicht nur die körperliche Überbelastung, die ich vermeiden muss, sondern auch die taktische Überbelastung. Als Trainer kann ich den schönsten Plan aufgestellt haben, was die Mannschaft am Ende der fünf, sechs oder acht Wochen können soll, doch es gibt so viele Faktoren, die nicht einplanbar sind: Wichtige Spieler können beispielsweise nicht verfügbar sein oder die Mannschaft braucht einfach länger, um einen bestimmten Punkt zu verinnerlichen.

Und wenn die Mannschaft mein Tempo nicht mitgehen kann, lohnt es sich nicht, alles auf Zwang durchzuprügeln, denn dann habe ich am Ende zwar viel angeschnitten und viel Input gegeben, aber es ist dennoch auf dem Feld nicht abrufbar. Manchmal muss man als Trainer einfach akzeptieren, dass das eigene Team mehr Zeit braucht als eingeplant. Dann ist Geduld gefragt, denn ein Ablauf muss sich erst einspielen – erst im Training, dann im Freundschaftsspiel und am Ende im Wettkampf.

Was wäre aus deiner Sicht noch zu beachten?

Das auf der Hand liegende Ziel ist es, die Spieler fit für die Saison zu bekommen. Danach muss ich natürlich  der Trainingsspiele festlegen und die Gegner auswählen – und vielleicht auch das ein oder andere Turniere melden, weil sich diese Wettkampfatmosphäre im Freundschaftsspiel nicht simulieren lässt. Bei all dieser Planung ist es jedoch aus meiner Sicht wichtig, darauf zu achten, dass zu Saisonbeginn wieder Reserven aufgebaut werden konnten, denn nur dann sind die Spieler wirklich fit. Es empfiehlt sich daher, die Intensität ein, zwei Wochen vor dem Start – je nach der zur Verfügung stehenden Zeit – herunterzufahren, um körperlich und mental eine kleine, aktive Ruhepause zu haben. Und es ist ebenso wichtig, nicht zu viel anzusetzen – vielleicht spare ich die ein oder andere Idee für das nächste Jahr auf, um dann einen neuen Reiz setzen zu können statt alles auf einmal auszuprobieren.

Du hast vom Beachhandball mit deinen Jugendteams gesprochen. Inwiefern kann das Spielen im Sand eine Alternative für Erwachsene sein?

Aus meiner Sicht hat Beachhandball mehrere sehr hilfreiche Facetten, die wir für die Halle nutzen können. Sprung- und Beinkraft werden im Sand geschult – inklusive Prophylaxe für Bänder und Knochen, denn das Laufen im Sand sorgt durch den sensomotorischen Anteil für Stabilität. Da sind Fang- oder Staffelspiele im Sand ein einfaches Mittel.

Das Spielen auf engem Raum und ohne die Möglichkeit des Tippens fordert zudem eine höhere Pass- und Spielpräzision ab – und durch die kleinere Spieleranzahl muss jeder Spieler Entscheidungen treffen, sodass das Entscheidungsverhalten geschult wird. Und die Abwehrspieler stehen aufgrund der Unterzahl unter einem erhöhten Druck, antizipativ und auf die Ballwege zu arbeiten, während sie parallel die Angreifer im Blick haben müssen. Das bringt die Spieler individuell weiter und stärkt Verhaltensweisen, die auch in der Halle gebraucht werden – auch im Erwachsenenbereich.

Abschließend: Was würdest du einem Trainer sagen, der sich jetzt Gedanken macht, ob seine Vorbereitung abwechslungsreich genug ist oder die Mannschaft gelangweilt sein wird?

Wenn man die Mannschaft neu übernommen hat, muss man aus meiner Sicht an der eigenen Idee einer Vorbereitung nichts verändern, denn das Team ist erst einmal neugierig auf den neuen Trainer. Da ist der Trainer der neue Reiz. Arbeitet man länger mit einer Mannschaft, wäre es vielleicht eine gute Idee, einen neuen Reiz einzubauen – aber nur, wenn die Mannschaft das spiegelt. Wenn sie die Vorbereitung in der Vorsaison richtig gut fand, kann man daran natürlich festhalten und vielleicht nur punktuell eine neue Idee einstreuen. Man muss das Rad jedoch nicht jedes Jahr neu erfinden.

Wer ist Konrad Bansa?

Konrad Bansa (48) besitzt neben der A-Lizenz die Zertifikate als DOSB-Athletiktrainer (2015), DHB-Torwarttrainer (2016), EHF-Mastercoach (2018) und Diplom-Trainer des Deutschen Olympischen Sportbundes (2022). Auch im Beachhandball hat der Jugend-Nationaltrainer, der 2018 mit der deutschen Auswahl U18-Europameister wurde, die höchste Lizenzstufe des europäischen Verbandes.

„Volle 60 Minuten“ im Mai

„Volle 60 Minuten“ im Mai

„Volle 60 Minuten“ im Mai

Mai 23, 2024| Marc Fasthoff

Am Freitag, 24. Mai läuft die 16. Folge unserer Vortragsreihe „Volle 60 Minuten“:
Interessante Einblicke werden diesmal Christian und Fabian vom Dorff geben 🙂
Die beiden Brüder werden von ihrem Halbfinaleinsatz beim Final Four 2024 in Köln, der Vorbereitung, dem Druck und der Anspannung berichten – ihr dürft euch auf einen offenen Austausch freuen.
Bringt also unbedingt eure Fragen mit!

🗓️ Freitag, 24. Mai

⏰ 19:00 bis 20:00 Uhr

📌 Der Link für alle Online-Vorträge von „Volle 60 Minuten“ bei » Zoom
Meeting-ID: 815 7660 8634 | Kenncode: 238128

Wir freuen uns auf viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Handball ist spannend: Für klein und groß!

Handball ist spannend: Für klein und groß!

Handball ist spannend: Für klein und groß!

Mai 5, 2024| Marc Fasthoff

Unter dieser Überschrift findet am Samstag 29.06.2024 eine weitere Trainerfortbildung in Kooperation mit dem VFL Potsdam statt.

Informationen zu Referenten, Inhalten, Lehrgangsanrechnung der Fortbildung für den Kinder-, Jugend- und Seniorenhandball können HIER eingesehen werden.

DHTV-ler erhalten auf dem gewohnten Weg einen Fortbildungszuschuss – Anmeldetermin ist der 26.06.2024

Über die Kommunikation zwischen Trainer und Schiedsrichter: Christian und Fabian vom Dorff im Interview

Über die Kommunikation zwischen Trainer und Schiedsrichter: Christian und Fabian vom Dorff im Interview

Über die Kommunikation zwischen Trainer und Schiedsrichter: Christian und Fabian vom Dorff im Interview

April 17, 2024| Marc Fasthoff

Christian und Fabian vom Dorff gehören zu den besten deutschen Schiedsrichtern. Die Brüder gehören dem Elitekader des Deutschen Handballbundes an und leiteten am vergangenen Wochenende das Spiel um den dritten Platz beim REWE Final4. Im Interview sprechen Christian und Fabian, die beide Mitglieder der DHTV sind, über die Kommunikation als Schiedsrichter mit dem Trainer bzw. der Bank während des Spiels – und geben aus ihrer Erfahrung Tipps für beide „Seiten“ … 

Christian, Fabian, worauf kommt es an, wenn ein Trainer im Spiel in die Kommunikation mit dem Schiedsrichter gehen will?

Christian vom Dorff:

Kurz gesagt: Auf den richtigen Moment und die Form der Ansprache (schmunzelt). Aus Schiedsrichtersicht ist das ein Moment, der nicht unmittelbar nach einer vermeintlich falschen Entscheidung ist – und eine Ansprache ohne einen Puls von 160 Schlägen.

Fabian vom Dorff:

Ich würde zudem dafür plädieren, den Schiedsrichtern in den ersten zehn Minuten erst einmal die Chance zu geben, ihren Plan für das jeweilige Spiel anzuwenden und sich parallel als Trainer auf die Linie einzustellen. Ohne zu wissen, welchen Rahmen die Schiedsrichter an diesem Abend vorgeben wollen, ist es fatal für eine vernünftige Kommunikation, wenn ein Trainer nach drei Minuten schon aufbrausend an der Bank steht und einen vermeintlich klaren Freiwurf einfordert.

Wenn man im Laufe des Spiels dennoch das Gespräch suchen will: Welche Form funktioniert aus euerer Erfahrung am besten?

 

Fabian vom Dorff:

Wenn man als Trainer von der Seitenlinie den Arm hebt oder winkt, um auf mich aufmerksam zu machen – freundlich, nicht aggressiv -, funktioniert es oft. Wenn der Schiedsrichter dann zu einem Trainer kommt, kann man sich kurz erkundigen, wie sie die Situation gesehen haben und eventuell ein kurzes Gespräch suchen, aber dann muss ein Trainer auch wieder weggehen.

Christian vom Dorff:

Es ist natürlich auch eine Charaktersache, wie man eine Situation, die man unbedingt geklärt haben möchte, mit dem Schiedsrichter klären will. Platt gesagt, kann ich nur noch empfehlen: Wenn eine Entscheidung getroffen ist, ist sie auch erst einmal getroffen.

Fabian vom Dorff:

Genau, ein hektisches oder vehementes Diskutieren direkt in der Situation bringt mit Blick auf die getroffene Entscheidung in aller Regel nichts. Als Trainer ist es sinnvoller, das zu akzeptieren und dann – ohne den bereits erwähnten Puls von 160 – kann man gezielt ansprechen, was vom eigenen Gefühl her in die falsche Bahn läuft. Nach der Situation einen Hinweis zu geben, dass ich als Trainer mit der Siebenmeterlinie nicht klarkomme, bringt mehr, als jede Einzelsituation intensiv debattieren zu wollen.

Ihr betont ein ruhiges Gespräch, aber im Handball stecken natürlich unheimlich viele Emotionen …

Fabian vom Dorff:

Emotionen gehören dazu und sind extrem wichtig. Das muss in unserem Sport beibehalten und erlaubt bleiben (Christian nickt). Die erste Emotionen sollte man als Schiedsrichter daher zulassen, aber danach sollte immer der Rahmen stimmen. Dass es nicht zielführend ist, wenn ich als Trainer den Schiedsrichter anschreie, was für eine Sch*** er macht, sollte jeder nachvollziehen können, denn so will niemand angesprochen werden.

Wenn man das umdreht, würde das für Schiedsrichter bedeuten: Unbedingt die erste Emotion zulassen und nicht direkt mit der Verwarnung reingrätschen, wenn die Bank aufspringt?

Christian vom Dorff:

Wenn die Abwehr der Meinung ist, einen tollen Job gemacht zu haben, aber die Schiedsrichter einen Kontakt wahrgenommen haben und Siebenmeter geben, wird die Bank nun einmal protestierend aufspringen. Das sind Emotionen, die wir als Schiedsrichter durch alle Ligen hinnehmen müssen. Wenn sich die Bank schnell beruhigt und die Spieler wieder Platz nehmen, ist das aus unserer Sicht zu akzeptieren, weil es zum Moment passt. Wir sollten doch sensibilisiert bei Handlungen reagieren, die nicht mehr zur ersten Emotion gehören wie zum Beispiel …

Fabian vom Dorff:

… ein wildes Gestikulieren. Herumspringen. Das Schlagen gegen die Wand.

Christian vom Dorff:

… oder auch: Abwinken! Da sollten wir sofort reagieren, weil das mit Respekt nichts mehr zu tun hat. Ich finde es besonders schlimm, wenn der Schiedsrichter in ein Gespräch mit dem Trainer geht, sich dann umdreht und weggeht – und der Trainer in seinem Rücken abwinkt oder vermeintlich verzweifelt die Arme hebt, um auch noch das Publikum aufzuheizen. Das hat mit einer ersten Emotion aus dem Moment heraus nichts mehr zu tun – und da sollten wir in allen Ligen eine klare Kante zeigen, indem wir progressiv durchgreifen.

Fabian vom Dorff:

Wir wissen alle, dass wir als Schiedsrichter nie alles richtig machen werden, aber man muss auch nicht bei der ersten vermeintlichen Fehlentscheidung sofort mit einer übertriebenen Emotion reagieren.

Christian vom Dorff:

Es kann natürlich manchmal schwierig sein, weil man sowohl auf der Trainerbank als auch an der Pfeife sehr unterschiedliche Charaktere hat. Einige Schiedsrichter reagieren sofort und andere lassen mehr zu. Und es gehört auch zur Wahrheit, dass Mannschaften natürlich austesten, wie belastbar die Schiedsrichter gegenüber dem Druck von Außen sind. Unserer Meinung nach fährt man gut, wenn man die erste Emotionen zulässt, die zweite Emotion beispielsweise mit einer beruhigenden Handbewegung oder einem kurzen Hinweis anmahnt  – und dann aber auch durchzieht, wenn es zu viel wird.

Wenn Trainer und Schiedsrichter ein bisschen länger dabei sind, kennt man sich jedoch oft, weil man sich immer wieder begegnet. Hilft das nicht, weil man sich schon vorbereiten kann, wie der andere tickt?

Fabian vom Dorff:

Wir machen uns alle davon natürlich nicht frei, aber: Eigentlich müssten wir jedes Spiel bei Null anfangen. Dass ein Trainer bei der letzten Begegnung vor zwei Monaten sehr emotional reagiert hat, darf die jetzige Begegnung eigentlich nicht beeinflussen, denn wir wissen nie, was im Hintergrund abgelaufen ist. Wenn eine Mannschaft seitdem drei Spiele in Folge gewonnen hat und nicht mehr auf dem Abstiegsplatz steht, kann die Stimmung – und die Reaktion – des Trainers eine völlig andere sein. Ebenso, wie wir eine Chance von den Trainern wollen, um unsere Linie in einem Spiel einzuführen, müssen wir den Trainern eine Chance für eine unbelastete Kommunikation geben.

Christian vom Dorff:

Das gilt übrigens auch andersherum, denn manchmal hat ein Schiedsrichter auch einfach einen schlechten Tag. Vielleicht steht man unter Druck, hatte eine schlechte Anreise oder hatte im Job oder der Familie eine extrem belastende Situation. Es kann auch eine Kleinigkeit sein, die den gewohnten Ablauf stört: Wenn die Hallenuhr kurz vor dem Anpfiff nicht mehr funktioniert, steigt das Stresslevel und das beeinträchtigt dich eventuell auch noch in den ersten Minuten, weil der Kopf nicht frei ist. Oder man kämpft innerlich noch mit einer schlechten Entscheidung und reagiert gereizter, als man es normalerweise tun würde. Und wenn du Spieler oder Trainer so das erste Mal begegnest …

Fabian vom Dorff:

Wenn man als Schiedsrichter im Spiel wirklich einmal daneben gelegen hat, kann ich auch mal den Arm in Richtung Trainerbank heben und signalisieren: Sorry, mein Fehler! Da wäre ein klarer, aber leider abgepfiffener Vorteil das klassische Beispiel. Ich kann mich natürlich nicht fünfmal im Spiel so entschuldigen, aber einmal kann es helfen, um die Spannung rauszunehmen und die Szene so abzuhaken.

Christian vom Dorff:

Eine Bitte hätten wir dann aber an alle Trainer: Wenn sich ein Schiedsrichter schon entschuldigt, haut bitte nicht auch noch drauf! Natürlich kann ich die Entscheidung weiterhin nicht gut finden, aber der Schiedsrichter hat sich ja schon entschuldigt, mehr kann niemand machen. Wenn ein Trainer da noch emotional draufhaut, hat es einen gegenteiligen Effekt.

Was wäre aus eurer Perspektive denn ein cleverer Zeitpunkt, um beim Schiedsrichter – außerhalb einer strittigen Situation – einen Hinweis zu hinterlegen? Wenn man sich beispielsweise bei den Fifty-Fifty-Entscheidungen immer benachteiligt fühlt oder ein Spieler des Gegners aus der eigenen Sicht immer einen Schrittfehler oder Stürmerfoul begeht ..

Fabian vom Dorff:

In einer Spielzeitunterbrechung den Arm zu heben, um zu signalisieren, dass ich sprechen möchte, kann gut funktionieren – wenn also beispielsweise ein Siebenmeter gegeben ist und die Zeit wegen einer Zeitstrafe, einer Behandlungspause oder einem Torwartwechsel angehalten ist.

Christian vom Dorff:

Unser Tipp: Achtet darauf, dass der Schiedsrichter ohne großen Umweg zur Trainerbank kommen kann. Es ist Quatsch, den Schiedsrichter über das komplette Spielfeld zu sich holen zu wollen, denn das wird in der Regel kein Schiedsrichter machen, weil es in der Außendarstellung katastrophal ist und sich der andere Trainer schnell benachteiligt fühlen könnte.

Fabian vom Dorff:

Die Halbzeitpause ist für das Gespräch auch ein guter Zeitpunkt, aber im Idealfall nicht mitten auf dem Spielfeld. Die schlauere Lösung ist es, beim Hinausgehen im Kabinengang zwei, drei kurze Themen zu platzieren. Der falscheste Zeitpunkt wäre es hingegen, den Schiedsrichtern in die Kabine zu folgen. Das ist nicht zielführend!

Christian vom Dorff:

Auch während eines Team-Timeouts finde ich das nicht glücklich, denn dort sollte der Fokus auf der Mannschaft liegen. Eine kurze gezielte Nachfrage – beispielsweise, wie viele Pässe noch zu spielen sind beim passiven Spiel – ist natürlich möglich, wenn man sich nach der Information direkt wieder zu seiner Mannschaft orientiert. Das in der Spielfeldmitte stehende Gespann mit drei, vier Situationen zuzutexten und womöglich noch mit dem Finger durch die Halle zeigt, wo was passiert ist, kommt hingegen gar nicht gut.

Fabian vom Dorff:

Im laufenden Spiel kann man natürlich mal eine kurze Bemerkung machen, aber da ist die Gefahr sehr hoch, dass der Schiedsrichter die nächste Situation übersieht – gerade, wenn es an der Basis nur einen Schiedsrichter gibt. Außerdem kommt es in so einer Szene, wo die Aufmerksamkeit des Schiedsrichters beim Ballgeschehen ist, leicht zu Missverständnissen. Man trifft eine Entscheidung nicht, weil man mit dem Kopf beim Trainer ist oder reagiert auf eine eigentlich vorsichtige Nachfrage allergisch und extrem kurz angebunden, weil man mit dem Kopf beim Spielgeschehen ist.

Christian vom Dorff:

Auch Gestik und Mimik spielen natürlich eine große Rolle bei der Ansprache. Wenn ein Trainer die ganze Zeit mit den Armen wedelt, kann man keine gute Kommunikation führen. Und es ist bei einem Gespann sinnvoll, den richtigen Schiedsrichter auf eine konkrete Situation anzusprechen (lacht). Denn der Gespannpartner hat die Szene im Detail vielleicht gar nicht mitbekommen und ohne Headset kann man sich auch nicht schnell abstimmen.

Welchen Tipp könnt ihr einem Schiedsrichter für die Reaktion auf einen Trainer-Hinweis geben?

Christian vom Dorff:

Es gibt zwei Wege zu reagieren. Der beste Weg aus unserer Sicht ist es, einfach offen zu sagen: „Alles klar, danke für den Hinweis, achten wir drauf.“ Dann sollte der Trainer sich aber auch zurückziehen und uns die Chance geben, darauf zu achten und ggf. die Linie entsprechend anzupassen.

Fabian vom Dorff:

Der andere Weg funktioniert nur, wenn man sich sehr lange kennt, eine gute Basis hat und der Spielverlauf es hergibt. Dann kann man auch mal flapsig so etwas antworten wie: „Sorry, Schritte können wir nicht, das weißt du doch.“ Das kannst du definitiv nicht immer machen – auch nicht bei jedem Trainer -, aber wenn du es in der richtigen Situation nutzt, kann es die Spannung nehmen und man kann gemeinsam lachen.

Zum Abschluss: Welchen Tipp könnt ihr noch mitgeben?

Fabian vom Dorff:

Wir haben es früher immer sehr begrüßt, wenn ein Trainer nach dem Spiel – wenn der Spielbericht abgeschlossen ist – kurz das Gespräch sucht und ein Feedback gibt. Das hat uns als Schiedsrichter weitergebracht und besser gemacht. Oder, wenn ein Trainer drüber war im Spiel, sich vielleicht kurz dafür entschuldigt, um es für das nächste Mal ausgeräumt zu haben. Trainer und Schiedsrichter müssen doch nicht immer nur gegeneinander arbeiten.

Christian vom Dorff:

Unser Tipp für so ein Kabinengespräch an die Trainer: Bringt nicht nur schlechte Dinge mit, sondern fangt mit einer positiven Rückmeldung an. In einem Spiel, das 60 Minuten dauert, wird sich in der Regel mindestens ein positiver Aspekt finden lassen. Wenn ihr mit etwas einsteigt, was euch gut gefallen habt, hört man sich als Schiedsrichter auch die Kritik aufmerksamer an – einfach, weil man nicht sofort niedergemacht wurde. Das ist ein Weg, um sich auch in Zukunft auf einer guten Basis zu begegnen!

„Volle 60 Minuten“ im März

„Volle 60 Minuten“ im März

„Volle 60 Minuten“ im März

März 19, 2024| Marc Fasthoff

Schon morgen am Mittwoch, den 20. März läuft die 15. Folge unserer Vortragsreihe „Volle 60 Minuten“: Interessante Einblicke werden diesmal die Bundesliga-Schiedsrichterinnen Sophia Janz & Rosana Sug geben.

Im Gespräch mit unserem Moderator Gleb Sakovski wird das aufstrebenden SR-Team Rede und Antwort stehen. Das Gespann spricht über seinen Weg in die Bundesliga, die Herausforderungen als Frauenteam in Männerspielen und ihre Ziele für die Zukunft.

Ihr dürft euch auf einen offenen Austausch freuen. Bringt also unbedingt eure Fragen mit!

🗓️ Mittwoch, 20. März

⏰ 19:00 bis 20:00 Uhr

📌 Der Link für alle Online-Vorträge von „Volle 60 Minuten“ bei » Zoom
Meeting-ID: 815 7660 8634 | Kenncode: 238128