„Volle 60 Minuten online“ mit Frank Böllhoff

„Volle 60 Minuten online“ mit Frank Böllhoff

„Volle 60 Minuten online“ mit Frank Böllhoff

24. Juni 2025| Marc Fasthoff

Direkt nach der Veröffentlichung der neuen Regelanpassungen wieder ein Highlight für Euch in unserer Vortragsreihe „Volle 60 Minuten“.

Am Montag, 30. Juni um 19:00 Uhr wird der DHB-Regelexperte Frank Böllhoff bei uns zu Gast sein.

In unserer 21. Ausgabe wird Frank die neuen Regelanpassungen vorstellen und ihre Stolpersteine beleuchten.

Fragen von Euch wird Frank wie immer gerne beantworten.

📆Montag, 30. Juni

⏰19:00 bis 20:00 Uhr

📌 Der Link für alle Online-Vorträge von „Volle 60 Minuten“ bei » Zoom
Meeting-ID: 815 7660 8634 | Kenncode: 238128

Wir freuen uns auf Frank und Euch.

Mehr als 100 gleichgesinnte Handballtrainer in Potsdam

Mehr als 100 gleichgesinnte Handballtrainer in Potsdam

Mehr als 100 gleichgesinnte Handballtrainer in Potsdam

23. Juni 2025| Marc Fasthoff

Es war durchaus voll in der Potsdamer Ballspielhalle, als sich am vergangenen Samstag mehr als 100 Trainerinnen und Trainer zur mittlerweile 22. Fortbildungsveranstaltung dieser Reihe trafen. Durchgeführt und organisiert vom Handball-Verband Brandenburg, der Deutschen Handball Trainer Vereinigung (DHTV) und dem 1. VfL Potsdam als Gastgeber entwickelte sich ein Tag voller Inhalte, die inspirierten, Spaß machten und ganz sicher auch Übungen und Abläufe demonstrierten, die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in ihr eigenes Training integrieren können. 

Alle Bilder von Sylvia Göres

 

Den Auftakt machte Anton Pack, der bekannte aber auch neue „Kleine Spiele“ zur Erwärmung präsentierte und auch große Spiele wie Fußball, Basketball oder Rugby in anderer Form vorstellte. Daran schloss sich mit Pascal Engelmann ein vom DHB lizenzierter Torwarttrainer an, der dem Publikum kind- und jugendgerechtes Torwarttraining näherbrachte.

Nach einer auch für den intensiven Austausch gedachten Mittagspause beschäftigte sich A-Lizenz-Inhaber Uwe Kalski mit Techniken und Taktiken des individuellen Abwehrspiels, ehe EHF-Mastercoach Alexander Haase mit seiner Trainingsgruppe eine intensive Übungssammlung zum Thema Tempospiel vorstellte. Alles in allem ist den Potsdamer Verantwortlichen erneut eine inhaltlich und organisatorisch sehr gute Fortbildung gelungen, die natürlich ganz sicher auch eine 23. Veranstaltung nach sich ziehen wird.

Alle Bilder von Sylvia Göres

„Gewalt im Sport ist ein sehr ernst zu nehmendes Problem“ – Interview mit Dominique Delnef

„Gewalt im Sport ist ein sehr ernst zu nehmendes Problem“ – Interview mit Dominique Delnef

„Gewalt im Sport ist ein sehr ernst zu nehmendes Problem“ – Interview mit Dominique Delnef

13. Juni 2025| Marc Fasthoff

Dominique Delnef ist Referentin für Schutz vor (sexualisierter) Gewalt bei der Deutschen Sportjugend (dsj) im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Im Interview erklärt sie die verschiedenen Formen von Gewalt im Sport, das Konzept des so genannten  „Empowermental Climate“ und gibt Ratschläge für Funktionäre und Trainer zur Prävention von Gewalt im eigenen Verein.

 

Triggerwarnung: In diesem Beitrag geht es um die Themen psychische, physische und sexualisierte Gewalt. Für manche Menschen können diese Themen emotional belastend sein. Hilfe in Belastungssituationen finden Sie z.B. bei der Ansprechstelle Safe Sport e.V., beim Hilfetelefon oder bei Anlauf gegen Gewalt.

Frau Delnef, Sie setzen sich bei der dsj für einen „Safe Sport“ ein, für einen gewaltfreien Sport. Um zunächst alle Leser:innen abzuholen: Was versteht man unter Gewalt im Sport?

Gewalt im Sport fällt in den Bereich der „interpersonalen Gewalt“. Der Begriff klingt erst einmal ein bisschen sperrig, aber damit werden vier Gewaltbereiche zusammengefasst: Die physische Gewalt, die psychische Gewalt, die sexualisierte Gewalt und sowie die Vernachlässigung. Im Sport beschäftigen wir uns schon lange mit dem Thema der sexualisierten Gewalt und setzen unter anderem zusammen mit den Mitgliedsorganisationen von DOSB und dsj verpflichtend, Schutzmaßnahmen umzusetzen, doch dann haben verschiedene wissenschaftliche Studien  in den letzten Jahren aber deutlich gezeigt, dass wir auch die anderen Gewaltbereiche verstärkt betrachten müssen, da sie im Sport oft miteinander einhergehen. Athlet:innen, die Gewalt erleben, sind oftmals von verschiedenen Formen betroffen.

Was umfassen die jeweiligen Gewaltbereiche?

Die physische Gewalt umfasst Formen von körperlicher Aggression, wie zum Beispiel schlagen oder würgen. Auch das Drücken in schmerzhafte Dehnpositionen gegen den Willen der Athlet:innen oder der Zwang zur Teilnehme am Wettkampf trotz Krankheit oder Verletzung fallen in diesen Bereich.

Unter psychischer Gewalt verstehen wir ein Verhalten, das angewandt wird, um Athlet:innen zu demütigen, ihnen zu drohen oder sie lächerlich zu machen. Darunter fallen neben Beleidigungen, Beschimpfungen und dem Androhen von Gewalt beispielsweise auch eine stetige und andauernde Abwertung von Leistung oder Kritik am Gewicht der Person.

Sexualisierten Gewalt wird angewendet, um  mit dem Mittel der Sexualität Macht auszuüben. Man unterscheidet zwischen sexualisierten Grenzverletzungen wie unangemessen Berührungen, Massagen oder unaufgefordertem Ausziehen sowie sexualisierter Gewalt mit und ohne Körperkontakt. Ohne Körperkontakt wären beispielsweise Chatnachrichten mit sexuellen Inhalten oder sexistische Witze; sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt sind ungewollte Küsse, versuchte sexuelle Handlungen bis hin zur Vergewaltigung.

Und der vierte Gewaltbereich: Die Vernachlässigung?

Das ist ein Bereich, der relativ neu benannt worden ist. Er umfasst die absichtliche Nichtbeachtung oder aktive Verweigerung von grundlegenden Bedürfnissen der Athlet:innen über einen längeren Zeitraum. Ein generelles Verbot, im Training zu trinken, wäre ein Beispiel; ebenso wie das Verweigern von Ruhepausen, sodass Athlet:innen sich nicht erholen dürfen.

Wenn man über diese Gewaltformen spricht, kommt oftmals die Argumentation, , dass man als Athlet:in widersprechen oder sich wehren kann, aber dem steht oftmals eine Abhängigkeit und ein Machtgefälle von Trainer:innen oder Verantwortlichen – gerade im Leistungssport – entgegen. Die Sportler:innen befürchten, nicht mehr nominiert, ungerecht behandelt oder ignoriert zu werden. Oder sie haben Zweifel, ob man sie ernst nimmt und die Meldung vertraulich behandelt wird. Das sind unter anderem Gründe, warum Betroffene ihre Gewalterfahrungen innerhalb der Sportstruktur nicht melden.

Welche Datenlage bzw. Zahlen gibt es zu dem Vorkommen von Gewalt im Sport?

Es gab in den vergangenen Jahren drei große Studien*, die eine gute Zahlenbasis hervorgebracht haben, auf die wir uns stützen können. Zwei Drittel der Befragten haben danach angegeben, mindestens einmal irgendeine Form von Gewalt im Zusammenhang mit dem Vereinssport erlebt zu haben, das entspricht sieben von zehn Personen.

Kann man diese Zahl tatsächlich auf die Masse an Vereinssportler:innen in Deutschland hochrechnen?

Ja, davon kann man ausgehen, denn obwohl die Herangehensweise der Studien unterschiedlich war, waren die Zahlen sehr ähnlich. Wenn wir die Zahlen differenzierter betrachten, heißt es, dass sechs von zehn Personen im Vereinssport mindestens einmal psychische Gewalt erlebt haben. Vier von zehn Personen haben körperliche Gewalt erfahren und drei von zehn Personen mussten sexualisierte Gewalt erfahren. Diese Zahlen sind erschreckend und halten vor Augen, dass Gewalt im Sport ein sehr ernst zu nehmendes Problem ist gegen das wir noch aktiver vorangehen müssen..

Das würde für den Handball bedeuten, dass 14 von 20 Spieler:innen in einer Mannschaft bereits eine Form von Gewalt erlebt haben. Das ist eine immens hohe Zahl.

Das stimmt. Natürlich ist es wichtig, differenziert hinzuschauen, was hinter den Zahlen steht – ob die Athlet:innen beispielsweise mehrmals Gewalterfahrungen machen mussten oder ob es sich um einmalige Situationen handelt.,. Dennoch: Wir wissen, dass es nicht unbedingt auf die Häufigkeit der Gewalterfahrungen ankommt, sondern auch einmalige oder weniger oft vorkommende Gewalterfahrung sehr schwerwiegende Folgen haben kann.

Daher muss es unser aller Ziel sein, diese Zahlen zu verringern – und das nicht, in dem einfach nicht mehr darüber gesprochen wird, sodass die Zahlen in keiner Statistik auftauchen, sondern im Gegenteil: Wir müssen alle hinsehen, das eigene Handeln reflektieren und Wege schaffen, wie betroffene Personen sich melden können und anschließend geschützt werden, sodass sie keine Angst vor negativen Konsequenzen haben müssen.

Es gab in den vergangenen Jahren verschiedene Medienberichte über Gewalt im Sport. Was hat sich dadurch in der öffentlichen Sichtbarkeit bewegt?

Tatsächlich sind in den letzten Jahren sehr viele Vorfälle von Gewalt im Sport öffentlich bekannt geworden und es waren viele Betroffen bereit, öffentlich zu sprechen. Jeder Vorfall ist sehr erschütternd, aber es hält uns gleichzeitig vor Augen, dass Gewalt im Sport existent ist – unabhängig von der Sportart und dem Leistungsniveau. Die Formen der Gewalt mögen sich unterscheiden, aber keine Sportart kann sich ausnehmen. Diese Berichte und der Mut der Betroffenen, darüber zu sprechen, helfen, das Thema sichtbarer zu machen und die sportpolitische Aufmerksamkeit auf die Problematik von Gewalterfahrungen im Sport zu lenken.

Was hat sich dadurch bereits bewegt?

Das Engagement in den Sportstrukturen ist gestiegen, die Strukturen im Sport zum Schutz vor Gewalt zu verbessern, ist ein Ziel, zu dem sich die Mitgliedsorganisationen von DOSB und dsj im Zukunftsplan Safe Sport  für die nächsten 10 Jahre als Gesamtstrategie entschlossen haben. In dem Zuge wurde bspw. die Entwicklung des Safe Sport Codes, ein verbandsrechtliches Regelwerk zur rechtsicheren Sanktionierung unterhalb der Strafbarkeitsgrenze bereits angegangen.. Auch auf bundespolitischer Ebene hat sich viel bewegt. So ist beispielsweise 2023 die unabhängige Ansprechstelle Safe Sport  im Zuge der Gründung des Zentrums für Safe Sport geschaffen worden, die außerhalb der bestehenden Strukturen im Sport existiert. Betroffene aus dem Sport können sich an diese Stelle wenden und erfahren dort im Rahmen von Beratungsterminen psychologische und juristische Unterstützung.

Die Berichte in den Medien haben auch gezeigt: Gewalt im Sport ist nicht nur ein Problem im Leistungssport, sondern kommt auch im Breitensport immer wieder vor. Warum ist der Sport eventuell besonders anfällig?

Zunächst ist der Sport ein Querschnitt der Gesellschaft. Und wenn Gewalt in der Gesellschaft generell vorkommt, liegt es auf der Hand, dass auch im Sport Gewalt passiert – ebenso wie in Schulen, Kirchen oder kulturellen Institutionen. Dass es sowohl im Breiten- als auch im Leistungssport zu Gewalt kommt, ist ebenfalls Fakt.

Der Breitensport hat ein sehr offenes System, das von ehrenamtlichen Menschen getragen wird, die eine wertvolle Arbeit machen und ohne die die Sportvereine nicht existieren könnten. Dadurch haben aber auch die Täter:innen leichten Zugang, denn wenn jemand Hilfe anbietet, werden die meisten Vereine sie annehmen. Mitunter sind das gezielte Strategien der Täter:innen, um Kontakt zu Kindern und Jugendlichen anzubahnen. Das zu erkennen, ist die Herausforderung im Vereinssport.

Im Leistungssport herrschen bestimmte strukturelle Bedingungen, die Gewalt begünstigen. Wir haben eine große Körperzentriertheit, mitunter auch durch die vorgeschriebene Bekleidung und durch Hilfestellungen. Dazu kommt der Leistungsgedanke und damit einhergehende Nähe- und Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Trainer:innen und Athlet:innen, die eine Machtausübung begünstigen können.

Wenn wir speziell auf den Handball schauen: Was sind die Basics, die ein Verein sicherstellen sollte, um ein sicheres Umfeld für Kinder und Jugendliche zu bieten?

Den Verantwortlichen im Verein muss zunächst bewusst sein, dass das Problem auch in ihrem Umfeld existiert. Nur, weil im eigenen Verein noch kein Vorfall gemeldet worden ist, heißt das nicht, dass noch nichts passiert ist. Es ist daher ganz wichtig, im Verein eine Kultur zu etablieren, in der alle Personen hinsehen und auch handeln, wenn sie beobachten, dass Gewalt ausgeübt wird.

Was genau können praktische Bausteine sein, um so eine Kultur zu schaffen? 

Es gibt bestimmte Schutzmaßnahmen, die jeder Verein etablieren kann – wie Ehrenkodizes, die von den allen unterschrieben werden sollen oder das Einsehen von erweiterten Führungszeugnissen, wenn eine Person als Trainer:in oder Übungsleiter:in neu in den Verein kommt. Vereine sollten Verhaltensregeln entwerfen, die einen respektvollen und geschützten Umgang miteinander beschreiben und die für alle gelten – zum Beispiel, dass Trainer:innen und Übungsleiter:innen nicht gemeinsam mit den Sportler:innen duschen oder nicht gemeinsam auf einem Zimmer übernachten. Ebenso kann man festhalten, dass keine Beziehungen zwischen jugendlichen Sportler:innen und Trainer:innen existieren dürfen. Und, das ist ganz entscheidend: Die Maßnahmen müssen bekannt sein.

Was bedeutet das konkret?

Die Trainer:innen, Sportler:innen und Eltern müssen die Ansprechperson zur Prävention sexualisierter Gewalt des Vereins kennen und wissen, wie die Meldewege sind. Die Trainer:innen und Übungsleiter:innen sollten geschult werden. Wenn ein Verein seine Haltung klar nach außen kommuniziert und die Maßnahmen zum Kinderschutz öffentlich darstellt, schreckt das Täter:innen oftmals ab. Die Maßnahmen müssen jedoch auch wirksam und konsequent umgesetzt werden. Es hilft niemanden, wenn ein Schutzkonzept mit Chat-GPT geschrieben wird und dann in der Schublade landet.

Sie haben eben die Meldewege angesprochen: Wie reagiere ich als ‚unbeteiligter‘ Trainer denn richtig, wenn ein Spieler oder ein Elternteil mir gegenüber einen Gewaltvorfall meldet?

Es ist wichtig, dass man die Meldung ernst nimmt, aber zugleich Ruhe bewahrt. Statt beispielsweise vorschnell die beschuldigte Personen anzusprechen, um den Fall zu klären, solle man besonnen bleiben. Im Gespräch ist es zunächst wichtig, zuzuhören, dem Kind oder Jugendlichen Glauben zu schenken, seine Anteilnahme zu zeigen und die Person zu bestärken, dass es genau richtig ist, den Vorfall zu melden, dass sie keine Schuld an dem Geschehen trägt und dass der Verein dem Vorfall nachgehen wird. Deshalb ist es so wichtig für Trainer:innen zu wissen, wie die Prozesse und Meldewege im Verein sind, um zu wissen, zu wem ich mit der Information gehen muss, damit der Vorfall verfolgt wird.

Das heißt, Sie würden raten, den Vorfall nicht selbst zu klären?

Die Person, die angesprochen wird, ist meistens nicht die Person, die für die nächsten Schritte verantwortlich ist. Insbesondere bei Kindern oder Jugendlichen  ist es eher selten, dass sie sich direkt an die offizielle Stelle wenden, weil das womöglich Fremde sind. Trainer:innen sind für Kinder und Jugendliche hingegen in der Regel sehr große Vertrauenspersonen, weil man sich oft sieht und zusammen Spaß mit dem gemeinsamen Sport hat. Deshalb werden Trainer:innen oft als die geeigneten Ansprechpersonen gesehen, um Hilfe oder Unterstützung zu bekommen. Deswegen ist es total wichtig, dass sich Trainer:innen diesem Vertrauensvorschuss bewusst sind und wissen, dass sie ein positiver Anker für betroffene Kinder und Jugendliche sein können.

Um an dieser Stelle noch einmal einzuhaken: Gewalt im Sport betrifft aber nicht nur Kinder und Jugendliche, sondern auch Erwachsene können betroffen sein.

Auf jeden Fall! Es ist gut, das wir das noch einmal ansprechen, denn dahingehend gab es eine Weiterentwicklung. Die Auseinandersetzung mit Gewalt im Sport kam früher in erster Linie aus dem Kinder- und Jugendbereich, aber durch Studien wurde gezeigt, dass auch erwachsene Personensehr häufig betroffen sind, weil auch sie, gerade im Leistungssporteiner Hierarchie ausgeliefert sind. Wenn beispielsweise der*die Trainer:in entscheidet, wer aufgestellt wird, kann diese Macht ausgenutzt werden. Gewalt kann jedoch auch abseits der Athlet:innen-Trainer:innen-Beziehung erfolgen, beispielsweise in Abhängigkeitsverhältnissen oder Machtgefällen unter Trainer:innen und Betreuer:innen oder Vorstand und Traine:in.

Wenn wir zum Abschluss vom Verein auf den einzelnen Trainer blicken: Welche Vorsichtsmaßnahmen empfehlen Sie Handball-Trainer:innen, um zu verhindern, dass möglicherweise auch unbewusst bzw. unbeabsichtigt Situationen entstehen, welche für ihre Spieler:innen unangenehm oder unangemessen sein könnten?

Diese Fragestellung treibt viele Trainer:innen um, da gerade das Thema Grenzverletzungen Unsicherheit bei Trainer:innen hervorruft. Zuallererst ist es wichtig, sich bewusst zu sein, dass Menschen und ihre Grenzen ganz unterschiedlich sind. Bei dem einen Spieler ist der Arm um die Schulter beim Trösten nach einer Niederlage gewollt, dem nächsten Spieler ist das aber unangenehm. Ein Schlüsselwort ist Kommunikation zwischen Trainer:in und Sportler:innen, um Themen an- und besprechbar zu machen,

Wie findet ein Trainer den richtigen Umgang?

Ein Konzept, das wissenschaftlich erarbeitet wurde und in den vergangenen Jahren immer stärker bespielt wird, ist das so genannte “Empowerment stärkende Klima““. Dabei geht es darum, im Training ein Klima zu schaffen, in dem sich die Sportler:innen wohlfühlen, ernst genommen  aktiv beteiligt werden. Die Sportler:innen sollen natürlich nicht selbst das ganze Trainingsprogramm schreiben, aber sie können in bestimmte Entscheidung eingebunden werden. Die Kommunikation auf Augenhöhe ist dabei ein ganz wichtiger Faktor.  In skandinavischen Ländern wie Norwegen und Schweden arbeiten bereits weit verbreitet nach diesem Konzept und es steigert die Motivation und Leistung nachweislich.


Könnten Sie das etwas genauer erklären?

Wir hören von Betroffenen ganz oft die Aussagen, dass sie behandelt worden seien, als hätten sie gar keine Rechte oder dürften sich nicht individuell verhalten. „Ihr müsst machen, was ich sage“, ist ein Spruch, der immer wieder genannt wird, oder auch: „Hier zählt nur das, was ich sage.“ Jede*n Sportler:in individuell wahrzunehmen und die individuellen Grenzen jedes Menschen zu respektieren, trägt hingegen viel zu einem positiven Klima und zur Entfaltung individueller Leistungs(potentiale) bei.

Mit dazu gehört beispielsweise auch, dass man den Vergleich von Leistung immer auf eine Person selbst bezieht und nicht auf Teamkolleg:innen oder Konkurrent:innen. Sprich: Die Entwicklung eines Spielers wird mit dem Leistungsstand desselben Spielers vor vier Wochen oder drei Monaten verglichen und nicht mit dem Fortschritt, den ein anderer Spieler gemacht hat.

Der Sport lebt von Emotionen, auch bei Trainer:innen, sodass man mitunter unpassende Worte wählt, ohne den Spieler:innen Gewalt antun zu wollen. Ohne das auch nur im Ansatz rechtfertigen zu wollen: Ist jedes Schimpfwort in einem emotionalen Ausbruch psychische Gewalt?

Wir bekommen oftmals zu hören, dass Trainer:innen Angst haben, falsch beschuldigt zu werden. Nicht jede Äußerung ist sofort psychische Gewalt. Entscheidend sind Kontext, Häufigkeit, Intensität und Wirkung auf die betroffene Person. Es ist wichtig, zwischen einmaligen Situationen sowie gezielten bzw. wiederholten Beleidigungen zu unterscheiden. Athlet:innen und Trainer:innen stehen in einer Beziehung zueinander, sehen sich regelmäßig und verbringen viel Zeit im Training miteinander. Wenn es häufig abwertende Sprüche oder Beleidigungen gibt, die systematisch darauf abzielen eine:n Sportler:in zu entwerten, zu demütigen oder einzuschüchtern und damit Macht auszudrücken, Druck oder Angst zu erzeugen, zählt das zu psychischer Gewalt.

Was kann ich als Trainer machen, damit es nicht aufgrund meiner Unwissenheit soweit kommt?

Wir sind hier wieder bei einem positiven Klima und einer Kommunikation auf Augenhöhe. Ich habe vorhin gesagt, dass es für viele Athlet:innen aufgrund der Strukturen im Sport nicht einfach, sich zu wehren. Umso wichtiger ist es, das Thema ansprechbar zu machen und ein Klima zu schaffen, in dem sich die Sportler:innen und gerade Kinder und Jugendliche trauen, Feedback zu geben und beispielsweise zu sagen: „Ich mag so nicht angesprochen werden.“ So stärken wir Kinder und Jugendliche, ihren Grenzen zu erkennen und auch zu kommunizieren. Ähnliches gilt für Hilfestellungen.

Ein mitunter schwieriges Thema … 

Genau. Da ist die Kommunikation ebenfalls wichtig. Man kann das aber gut vorbereiten, indem man sagt: „Ihr sollt die korrekte Haltung lernen, daher werde ich eventuell das und das korrigieren – ist das in Ordnung?“ Das muss man natürlich nicht jedes Mal wiederholen, aber so ist es ansprechbar und kein Tabu – und dann kann eine Person auch sagen, wenn etwas nicht okay ist oder die Grenze überschreitet.

Abschließend: Sie haben die Anlaufstelle für betroffene Sportler:innen erwähnt. Welche Anlaufstellen gibt es für Handballvereine, die sich intensiver mit der Prävention von Gewalt auseinander setzen wollen?

Es gibt vielfältige Möglichkeiten. Online gibt es Materialien, Schulungsvideos und Handlungsleitfäden oder hier, beispielsweise auch vom Deutschen Handballbund;  sowohl bei den regionalen Stellen als auch bei uns. Unterstützung gibt es auch bei den Landessportbünden und -Sportjugenden  in den verschiedenen Bundesländern. Sie haben sehr viel Erfahrung und Expertise, können Vereine gut beraten und bieten auch Schulungen an. Selbstverständlich kann man sich auch an die Landesfachverbände Handball wenden, die Vereine gerade bei sportartspezifischen Fragestellungen helfen können.

Haben Sie darüber hinaus einen abschließenden Ratschlag?

Wenn ein Vorfall von Gewalt gemeldet wird, ist es entscheidend, transparent und konsequent zu handeln. Das heißt jedoch nicht, dass man den Beschuldigten nicht anhört, sondern dass man den Vorfall untersucht und Informationen zusammenträgt, die dazu beitragen, den Vorfall aufzuklären und dann entsprechende Konsequenzen zieht. Wenn Betroffene merken, dass keine Schritte unternommen werden, verlieren sie das Vertrauen und dann wird nichts mehr gemeldet. Das ist gefährlich, denn dann denkt der Verein, dass alles super ist, weil kein Vorfall gemeldet wird, während die Sportler:innen weiter leiden.

*Hintergrund – die Studien:

Safe Sport Studie

SicherImSport Studie

CASES Studie

„Kinderhandball ist heutzutage wichtiger als jemals zuvor.“ – Interview mit Thomas Krüger

„Kinderhandball ist heutzutage wichtiger als jemals zuvor.“ – Interview mit Thomas Krüger

„Kinderhandball ist heutzutage wichtiger als jemals zuvor.“ – Interview mit Thomas Krüger

28. März 2025| Marc Fasthoff

Von Handball-Anfängern bis zu den größten Talenten des Vereins: Thomas Krüger trainiert beim ATSV Habenhausen die E-Jugend sowie die männliche B-Jugend, die in der Jugendbundesliga spielt. Im Interview spricht der erfahrene Nachwuchstrainer und regelmäßige Autor der Fachzeitschrift handballtraining junior über den Stellenwert des Kinderhandballs und den Wunsch nach mehr Wertschätzung für die Trainer:innen im jüngsten Bereich.

Bild Quelle: Nico Wittler/handballtraining junior

 

Thomas, wenn über die Nachwuchsarbeit im Handball gesprochen wird, geht es oft die Förderung von Talenten, Auswahlsichtungen und Wettbewerbsformen. Der Kinderhandball spielt hingegen oft nur eine Nebenrolle. Was leistet der Kinderhandball?

Im Kinderhandball werden die Kinder für unseren Sport und das Sporttreiben generell begeistert und das ist eine wesentliche Komponente. Ich sehe den Sport als Kitt der Gesellschaft. Egal, woher ein Kind kommt: Beim Sport lernt es soziales Verhalten, es lernt, sich an Regeln zu halten und es gewöhnt sich an Bewegung. Deswegen ist Kinderhandball heutzutage wichtiger als jemals zuvor. Wir könnten viel mehr Augenmerk darauf richten, weil wir damit Kitt in der Gesellschaft sind. Die Kinder lernen Gemeinschaft.

Warum ist der Kinderhandball für viele Handballer dennoch oft nur eine Randnotiz?

Grundsätzlich könnte sich jeder mit Kinderhandball beschäftigen und dort einen Dienst leisten – ob als Trainer, Betreuer oder Organisator. Kinderhandball-Trainer sind jedoch häufig nicht im Fokus, weil es dort als Trainer nichts wesentliches zu gewinnen gibt. Die Kinder bekommen eine Ausbildung und sammeln Erfahrung, aber ob man in der D-Jugend Meister wird, spielt keine große Rolle. Das sollte es auch nicht, aber es passt für viele nicht zum Leistungsgedanken. Dabei kann jeder dabei helfen, Kinder zu begeistern. Ich verstehe gar nicht, warum dieser Punkt so im Schatten steht, denn Jugendarbeit ist die Grundlage, um als Verein überleben zu können.

Inwiefern ist der Leistungssport bereits im Kinderhandball das Ziel?

Wenn Kinder erst einmal im Handball ankommen und sich mit der Sportart beschäftigen, ist das großartig. Wenn sie später im Leistungsbereich ankommen, ist das auch großartig, aber es nicht jeder dafür gemacht. Wenn Kinder und Jugendliche diesen Schritt leistungsmäßig nicht schaffen oder ihn einfach nicht machen wollen, ist es klasse, wenn sie das Handballspielen dennoch lieben und später dem Sport vielleicht sogar etwas zurückgeben, indem sie Schiedsrichter werden, Fahrten organisieren oder als Spender auftreten. Es gibt auch abseits des Leistungssports wahnsinnig viele Möglichkeit, die Liebe zu unserem Sport auszuleben und zurückzugeben.

Was macht den Unterschied?

Es gibt drei Komponenten, ich nenne das „LeiTaFle“. Leidenschaft, Talent, Fleiß. Je nachdem, wie das gepaart ist, kann ein Kind oder Jugendlicher Leistungssport betreiben oder eben nicht. Unabhängig davon braucht jedoch jedes Kind eine solide Grundausbildung. Deswegen wäre es toll, wenn sich nicht nur viele junge Trainer-Einsteiger im Kinderhandball engagieren, sondern auch Spieler:innen, die selbst leistungsorientiert gespielt haben. Sie haben einen ganz anderen Blick darauf haben, was die Kinder können könnten – und wie sie ausgebildet werden können.

Und es wäre generell im Sinne des Sports, möglichst viele Kinder zu halten – unabhängig davon, ob es für den Leistungssport reicht oder nicht?

Auf jeden Fall. Es muss eine breite Basis geben, um die Hochleistungssportler überhaupt zu finden, aber wie ich bereits sagte: Es ist auch nicht jeder für den Hochleistungssport gemacht. Deswegen ist es wichtig, dass es für alle Kinder, die Handball spielen wollen – egal, in welchem Leistungsbereich – Angebote gibt.

Die Differenzierung ist gerade in kleinen Vereinen mit nur einer Mannschaft in einer Altersklasse schwierig. Muss man in der E-Jugend bereits leistungsorientiert trainieren, um später in der Bundesliga zu spielen?

Das glaube ich nicht. Ich habe immer wieder Quereinsteiger, die sich erst später zeigen – wie ein Miro Schluroff zum Beispiel; der hat erst zum Ende der D-Jugend-Zeit bei uns angefangen. Entscheidend ist das Grundgerüst; dass man sich mit den Kindern auseinandersetzt und überlegt, was man ihnen neben dem Handball anbieten kann. Das Spielen ist der Summand, der alles zusammenhält, aber die Freude an jeder Art von Bewegung und Gemeinschaft müssen wir darüberhinaus vermitteln.

Was reizt dich am Kinderhandball? 

Es lohnt sich einfach. Mein kleiner Dorfverein hat sich mit einer Mannschaft für die Jugendbundesliga in der B-Jugend qualifiziert, die zum großen Teil aus Eigengewächsen besteht. Viele dieser Jungs begleite ich seit Kindesbeinen und ihre Entwicklung zu erleben, ist einfach toll.

Dennoch heißt es bei manchen Trainern, Kinderhandball sei – gerade durch das offensive, freie Spiel, was mitunter chaotisch aussieht – kein richtiger Handball. Was entgegnest du diesem Vorurteil?

Das höre ich auf Fortbildungen sehr häufig – bis zu dem Zeitpunkt, wo diejenigen, die das äußern, selbst 20 Minuten in die Manndeckung geschickt werden (schmunzelt). Das System dient auch dazu, um die Kinder athletisch auszubilden und nicht nur technisch-taktisch vorzubereiten. Ich finde, das offensive Verteidigen ist eine sehr gute Maßnahme, um eine Tiefe im Spiel zu haben und auch Kindern, die vielleicht noch nicht so groß sind oder so eine große Wurfgewalt haben, zum Zuge kommen zu lassen. In dem offensiven Spiel haben alle Kinder sehr schnell eine Chance, sich am Spiel zu beteiligen. Die Regeln sind einfacher und das Spiel ist erst einmal relativ körperlos

Der offensive Weg ist jedoch entgegensetzt zum Dominator im Männer-Handball Dänemark, wo die Jüngsten defensiv spielen …

Das wird sehr häufig hervorgehoben und dann geht die Diskussion los, ob wir nicht etwas umstellen sollen.

Was wäre deine Meinung dazu?

Wir haben eine Rahmentrainingskonzeption, die von Menschen verfasst worden ist, die sich mit dieser Frage eingehend beschäftigt haben. Wir müssen nicht alles über den Haufen werfen, aber ich glaube, dass wir überlegen müssten, manchmal andere Schwerpunkte zu setzen.

Inwiefern?

Bei uns ist meiner Meinung nach alles dem Gewinnen untergeordnet. Ich muss in der Liga eine bestimmte Platzierung erreichten, damit ich im nächsten Jahr dort wieder spielen kann und die nachfolgende Generation diesen Platz sicher hat. Wenn ich das nicht mache, verliere ich diese nächste Generation sonst vielleicht an den Nachbarverein. Das fördert den Leistungsgedanken, aber es hemmt ihn auch manchmal, weil wir dadurch bestimmte Dinge viel zu erfolgsorientiert sehen statt die Jungs auch mal mit Spaß spielen zu lassen und zuzulassen, dass sie experimentieren.

Sprich: Man lässt die „erste Sieben“ auf ihren Positionen spielen, statt den kleinen Linkshänder nicht nur auf Rechtsaußen, sondern auch mal auf der Mitte auszuprobieren?

Ich sehe es in der B-Jugend-Bundesliga. Es ist prima, dass die Jungs auf so einem hohen Niveau spielen können und diese Erlebnisse machen dürfen, es gibt jedoch auch ein Aber: Der Ergebnisdruck ist extrem hoch. Alle kämpfen, weil es nicht um das Spielen, sondern auch immer um etwas „Größeres“ geht. Dieses Gewinnen-Müssen hemmt die Spieler und hemmt auch Trainer, mal etwas auszuprobieren oder entspannter mit Dingen umzugehen. Vielleicht sollten wir darüber nachdenken, was wir anpassen können, damit die Sportler auch mal experimentieren dürfen und nicht viel zu früh immer nur liefern müssen. So ein Leistungssystem mag ein guter Weg sein, die vielen Sportler, die wir haben, vergleichbar zu machen, aber es stellt sich auch die Frage für einen B-Jugendlichen: Wird er auch im Seniorenbereich noch gut sein, wenn er nicht ausprobieren darf, Fehler machen darf, es ihm auch einfach mal Spaß machen darf?

Du hast eingangs gesagt, dass du dir wünschen würdest, dass mehr Augenmerk auf den Kinderhandball gelegt wird. Wie könnte das konkret aussehen?

Ich würde mir wünschen, dass alle Vereine, die im Seniorenbereich spielen, auch irgendetwas für den Kinderhandball machen müssen – eine Patenschaft übernehmen oder im Training helfen. Wie viele Kinder fänden es großartig, wenn aus der 1. Männer oder 1. Frauen einmal im Monat ein Spieler in ihr Training käme und mit ihnen zusammen trainieren würde? Das würden die Kinder feiern ohne Ende! Das gibt auch genau den Kitt, den ich eingangs angesprochen hatte und genau diesen Zusammenhalt brauchen wir, auch in unserer Gesellschaft.

Hast du noch weitere Punkte?

Ich würde mir auch wünschen, dass ein Verein den Kinderhandball-Trainer:innen den Wunsch von den Augen abliest. Du möchtest eine Dauerkarte für die 1. Mannschaft? Das ermöglichen wir natürlich, das wird gar nicht in Frage gestellt. Oder dass der Verein einfach den Kindertrainer einmal fragt: Was benötigst du? Wie können wir dich unterstützen? Die Verein sollten sich überlegen, was sie wertschätzen.

Sprich: Nicht nur den Trainer der 1. Herren in der Oberliga, sondern genauso den Minitrainer, der mit 20 Kindern in der Halle steht. 

Ganz genau! Der Mini-Trainer ist nämlich derjenige, der Nerven wie Drahtseile hat und einen langen Geduldsfaden, um die Kinder irgendwie beim Handball zu halten und zu tollen Persönlichkeiten zu erziehen, die später sportliche Höchstleistung bringen können oder sich mit ebenso viel Einsatz selbst im Verein engagieren.

Ich habe aber das Gefühl, diese Trainer werden oft gar nicht gesehen. Sie erhalten in vielen Vereinen zum Beispiel keine Ehrungen. Da würde ich mir wünschen, dass sie mehr Aufmerksamkeit bekämen; dass man ihnen sagt: „Danke, dass du dich für die Kleinsten engagierst – auch, wenn du keine Meisterschaften gewinnen kannst.“ Das vorrangige Ziel sollte dabei allen bewusst sein: Die Kinder an den Sport zu binden und gemeinsam einen Zusammenhalt im Verein, im Stadtteil, in der Gesellschaft herzustellen.

„Wenn du einen faulen Apfel hast, kann dir alles um die Ohren fliegen.“ – Interview mit Heike Ahlgrimm

„Wenn du einen faulen Apfel hast, kann dir alles um die Ohren fliegen.“ – Interview mit Heike Ahlgrimm

„Wenn du einen faulen Apfel hast, kann dir alles um die Ohren fliegen.“ – Interview mit Heike Ahlgrimm

5. Februar 2025| Marc Fasthoff

Heike Ahlgrimm ist seit knapp zehn Jahren Cheftrainerin der HSG Bensheim/Auerbach. Die 49-Jährige führte die Flames 2017 zunächst in die 1. Bundesliga, bevor 2023 mit der Qualifikation für das Finale des DHB-Pokals und 2024 mit der Deutschen Vize-Meisterschaft neue Meilensteine gesetzt wurde. Ein Faktor für die Erfolge: Eine gute Chemie im Team. Worauf muss man als Trainer bei der Mannschaftszusammenstellung achten und welche Erfahrungen sie gemacht hat, verrät Ahlgrimm im Interview.

Ob in der Bundesliga oder der Oberliga: Jeder Trainer steht vor der Aufgabe, ein funktionierendes Team zusammenzustellen. Was ist aus deiner Erfahrung der erste Schritt?

Du musst gucken, ob die Spielerin ins Team passt – nicht nur spielerisch, sondern auch charakterlich, menschlich und finanziell. Ich habe mich in vielen Situationen gegen eine wirklich gute Spielerin entschieden, weil ich nicht der Meinung war, dass sie charakterlich oder menschlich gut in die Mannschaft passen würde. Das ist für mich extrem wichtig. Wir haben auch immer sehr viel Wert darauf gelegt, dass es finanziell passt, denn wenn man das bestehende Gehaltsgefüge für eine Spielerin sprengt, kann es einem leicht um die Ohren fliegen.

Wie ist das Verhältnis zwischen Rationalität und Bauchgefühl bei solchen Entscheidungen?

Das kann ich nicht beziffern, aber bei mir spielt das Bauchgefühl schon eine große Rolle. Das Gute ist, dass man sich oft vorher kennt – wir haben Spielerinnen verpflichtet, gegen die wir vorher schon gespielt haben oder aus anderen Begegnungen in der Handball-Familie kennt. Es gibt natürlich auch viel Hörensagen, da hilft es, eigene Eindrücke zu haben.

Woran machst du fest, ob eine Spielerin in die Mannschaft passt?

Sie braucht einen guten Charakter. Plump ausgedrückt: Ich brauche keine Egoistin, sondern eine mannschaftsdienliche Spielerin. Ich brauche eine Spielerin, die alles für den Handball investiert. Ich brauche eine Spielerin, die unbedingt will! Das ist mir ganz wichtig; eine Spielerin muss wirklich zu uns wollen. Das sucht man zumindest; ob man es kriegt, ist etwas anderes (schmunzelt). Und natürlich guckt man als Trainer auch, ob eine Spielerin taktisch ins System passt – wir suchen zum Beispiel gerne abwehrstarke Spielerinnen, die ins Tempospiel gehen können.

Wenn du sagst, es brauche grundsätzlich einen guten Charakter, gibt es ja trotzdem unterschiedliche Typen. Worauf ist bei der Zusammenstellung zu achten?

Das ist nicht immer einfach, das stimmt. Eine Mannschaft braucht natürlich Führungsspieler und auch für einen Trainer ist es wichtig, zwei, drei Leute im Team zu haben, die vorweg gehen können und ihre Meinung sagen. Du brauchst aber natürlich auch nicht zehn Alphatiere, sondern ebenso Spielerinnen, die charakterlich „neutral“ sind und es wird auch immer Spielerinnen geben, die nur mitlaufen. Das ist auch okay und darauf muss man natürlich achten, dass die Zusammenstellung auch unter diesem Gesichtspunkt passt.

Kommunizierst du potenziellen Neuzugängen schon vor dem Wechsel, in welcher Rolle du sie siehst – oder findet sich das innerhalb des Team?

Das kommt darauf an. Als Trainer kommt man natürlich vor dem Wechsel immer miteinander ins Gespräch, ich sage sportlich, was ich erwarte und wie ich sie sehe, aber es gibt immer Unterschiede. Manchmal muss man gar nicht viel reden, weil es klar ist – bei einer so erfahrenen Spielerin wie Kim Irion war es keine Frage, welche Rolle sie einnehmen wird. Bei jungen Spielerinnen ist es jedoch wichtig, dass sie klar wissen, wo ich sie sehe und welche Rolle sie spielen sollen. Das ist allerdings nicht immer planbar.

Inwiefern?

Ich hatte Spielerinnen, die in der ersten Saison als Nummer Drei auf einer Position eingeplant waren, aber dann bereits schnell eine viel größere Rolle einnehmen. Das entwickelt sich; man weiß gerade bei jungen Spielerinnen nie, welche Fortschritte sie machen, wie sie erwachsen werden und sich in die Mannschaft einfügen. Eigentlich ist es oft einfach: Wer Leistung bringt, steigt innerhalb der Mannschaft im Standing und wird dann automatisch einbezogen.

Wie wichtig ist ein Probetraining, bevor man sich für oder gegen den Wechsel bzw. die Verpflichtung entscheidet?

Wenn wir die Spielerin beispielsweise aus der Liga kennen, ist ein Probetraining keine Pflicht, aber bei Spielerinnen, die aus dem Ausland oder auch der 2. oder 3. Liga kommen, machen wir das schon. Es gibt auch Erstliga-Spielerinnen, die von sich aus um ein Probetraining bitten, weil sie gucken wollen, welches Gefühl sie haben, wie mein Training ist oder wie die Mädels sie aufnehmen.

Dass neue Spieler in eine Mannschaft kommen, gibt es sowohl in der Bundesliga als auch im Amateurhandball in jedem Jahr. Wie kann man als Trainer diesen Prozess der Integration bzw. Mannschaftsfindung begleiten.

Das ist eine Situation, die nicht immer einfach ist, weil sich durch Abgänge und neue Spielerinnen immer etwas in der Mannschaft verschiebt. Wir legen daher in der Vorbereitung einen großen Wert auf die Teamfindung. Es ergibt sich automatisch viel, wenn man im Trainingslager oder auf Turnieren ist, weil man gemeinsam unterwegs ist und Zeit miteinander verbringt. Auch Teamevents gehören dazu. Jede, die neu uns kommt, gestaltet einen Abend selbst, zu dem sie die Mannschaft einlädt. Manchmal schreiben wir bei Aufwärmspielen Plus und Minus auf und dann müssen diejenigen, die verlieren, ein Kabinenfest für die ganze Mannschaft geben. So beschäftigen sich die Mädels miteinander, das klappt gut.

Welche Möglichkeiten hat der Trainer außerdem?

Ich teile beim Trainingslager hin und wieder die Zimmer ein – zum Beispiel positionsmäßig, damit sich auch Spielerinnen miteinander beschäftigen, die vielleicht sonst nicht so viel zu tun haben. Früher habe ich im Jugendbereich sogar eingeteilt, wer im Bus wo sitzt, damit nicht immer die gleichen Spielerinnen zusammenhocken. Dass es sich mischt, ist in gewisser Weise auch deine Verantwortung als Trainer. Da lege ich viel Wert drauf.

Wie viel Zeit braucht eine Mannschaft, um sich nach einer Neugestaltung zu finden?

Wenn viele Spielerinnen schon länger dabei sind und das Team immer nur mit zwei, drei Spielerinnen punktuell ergänzt wird, kann es relativ schnell gehen. Bei mehreren Wechseln kann es auch länger dauern. Mein Richtwert: Ich sage, dass eine neue Spielerin circa ein halbes Jahr braucht, um spielerisch bei uns anzukommen. Menschlich ist etwas anderes, aber spielerisch sieht man immer wieder und in jedem Verein, dass Neuzugänge einfach Zeit brauchen.

Inwiefern liegt das an dem spielerischen Niveau? Sprich: Geht es in der Bezirksliga schneller als in der Bundesliga?

Das kann ich nicht beurteilen. Ich glaube aber, dass es keinen großen Unterschied macht, denn man muss in jeder Liga erst einmal lernen, wo die neue Mitspielerin hinläuft. Das mag in der Bezirksliga vielleicht nicht so ins Detail gehen, aber dafür ist der Trainingsumfang ja auch anders. Und bis ein blindes Verständnis besteht, dauert es noch länger. Kim Irion ist seit anderthalb Jahren bei uns und jetzt kommen ihre blinden Pässe auf Isabell Hurst an. Am Anfang wurden die Bälle hin und wieder nicht gefangen. So etwas zu perfektionieren, dauert auch auf unserem Niveau.

Inwiefern hilft dir deine Erfahrung aus deiner Spielerzeit; dass du also weißt, wie es für ein Team ist, sich zu finden?

Wenn man länger Trainer ist, weiß man generell, was funktioniert, aber der Handball entwickelt sich, unsere Sportart entwickelt sich. Man muss immer wieder auch über den Tellerrand schauen, denn das, was letztes Jahr funktioniert hat, greift vielleicht im nächsten Jahr schon nicht mehr. Dann gilt es zu gucken, was man verändern muss, um den richtigen Weg zu finden. Klappt das eine nicht, muss man das nächste ausprobieren – und das geht nur mit Erfahrung.

Was wäre in diesem Punkt dein Tipp für Trainerkollegen?

Immer weitermachen! Das klingt banal, aber letztendlich ist es der entscheidende Punkt. Es gibt immer wieder Rückschläge; es werden immer wieder Dinge nicht mehr funktionieren, aber dann muss weiter arbeiten, damit es wieder besser wird. Manchmal ist man dann als Trainer auch überfragt, man findet einfach keinen Grund und weiß nicht weiter, aber man muss weitermachen und positiv bleiben. Auch bei uns geht es aktuell hoch und runter; wir kriegen eine Klatsche in der Bundesliga und gewinnen wenige Tage später im Europapokal – und ich weiß einfach nicht, woran es liegt.

Wie gehst du damit um?

Ich beobachte, ich höre zu und ich versuche, auch viel in den Dialog zu gehen und die Spielerinnen einzubeziehen. Ich frage: Was braucht ihr als Mannschaft? Was braucht ihr, damit es funktioniert? Für solche Situationen sind ein Kapitän und eine Mannschaftsrat sehr sinnvoll; egal, in welcher Liga. Wenn es Probleme gibt, können natürlich alle Spielerinnen zu mir kommen, aber ich kann nicht immer mit allen 16 Spielerinnen sprechen. Daher ist eine Vertretung wichtig, die im Namen des Teams sprechen kann. Und manchmal muss man einfach weitermachen, denn es gibt Situationen, für die es keine Begründung gibt.

Das dürfte nicht einfach sein …

Definitiv nicht. Man muss es aushalten können, dass es nicht auf jedes Problem eine Antwort gibt. Ich habe inzwischen gelernt, dass in solchen Situationen manchmal weniger mehr bringt. Früher habe ich trainiert, trainiert, trainiert, damit es wieder besser wird, inzwischen gebe ich den Mädels aber auch mal zwei Tage frei. Manchmal hilft das, damit der Kopf danach wieder frei ist.

Wann sollte ein Trainer eingreifen, wenn er merkt, dass die Mannschaft sich trotz aller Bemühungen nicht findet oder es im Team einfach nicht funktioniert?

Das hängt von der Situation ab. Man kann gucken, ob man mit Teamevents noch etwas bewegen kann, mit Einzel- oder Teamgesprächen oder durch die Zusammenarbeit mit einem Mentaltrainer. Es ist natürlich für viele Vereine auch eine finanzielle Frage, was für Möglichkeiten es gibt. Manchmal muss man da auch einfach durch, denn es muss nicht jeder mit allen befreundet sein. Wir haben nicht 16 Freundinnen, es gibt Reibungspunkte, aber solange sie auf dem Feld es ordentlich machen, ist es okay. Und man hat nun einmal auch 16 unterschiedliche Charaktere in der Mannschaft, die 16 unterschiedliche Rucksäcke mitbringen. Das muss einem bewusst sein. Wenn es aber partout nicht funktioniert, wenn du einen faulen Apfel in der Mannschaft hast, kann dir alles um die Ohren fliegen. Da musst du eine Entscheidung treffen und eventuell muss man sich dann auch wieder trennen.