„Die meisten Torhüter haben die größten Defizite im Rahmen der Beinarbeit.“ – Interview mit Franco Tafuro

Dezember 4, 2024| Marc Fasthoff

Der Schlussmann im Fokus: Ein Torwarttrainer ist im oberen Leistungsbereich Usus, im Amateur- und Jugendhandball jedoch keine Selbstverständlichkeit. Wie gelingt es, den Keeper im Training trotzdem in den Blick zu nehmen – und ab welcher Altersklasse ist das empfehlenswert? Franco Tafuro ist ausgebildeter DHB-Torhüter*innen-Trainer und gründete gemeinsam mit Ex-Nationalspielerin Debbie Klijn die Torwart-Trainer-Academy. Im Interview berichtet er aus seiner Erfahrung und betont: „Torhüter wollen gar nicht das ganze Training haben, aber zumindest einen kleinen Abschnitt.“ 

Franco, es gibt im mittleren und unteren Leistungsbereich sowie der Jugend viele Mannschaften bzw. Vereine, die keinen Torwarttrainer haben. Was kann ein Trainer tun, damit sich seine Torhüter im Mannschaftstraining wohl und vor allem gesehen fühlen? 

Die Torhüter brauchen auch im Mannschaftstraining eine Einbindung; eine Zeitspanne, wo die Aufmerksamkeit ihnen gilt. Außerdem brauchen Torhüter konkrete Aufgaben und dadurch eine Förderung. Wenn sich der Cheftrainer mit den Feldspielern beschäftigt, kann der Torhüter sich durchaus mit Einzelübungen selbst beschäftigen. Die Vorgaben dafür sollten jedoch vom Trainer kommen und das ist das Mindestes, was ich mir wünschen würde. Und weißt du, warum?

Warum? 

Weil wir immer wieder sehen, dass die Torhüter besser werden, sobald das geschieht! Sie haben eine gezielte Förderung und können an sich arbeiten. Ich höre bei Workshops immer wieder von Torhütern, dass sie den Eindruck haben, dass sie nur nebenbei laufen. Für mich als Trainer wäre die Position des Torhüters viel zu wichtig, um sie bei der Förderung weitestgehend zu ignorieren, denn ohne eine solche individuelle Förderung werden wir maximal durchschnittliche Leistung unsere Torhüter erhalten.

Wie viel Zeit sollte das Torwarttraining einnehmen? 

Torhüter wollen gar nicht das ganze Training haben, aber zumindest einen kleinen Abschnitt. 15 bis 20 Minuten in der Woche sind ein guter Richtwert, das hat Mattias Andersson im Mannschaftstraining des THW Kiel ebenfalls. Wenn ein Amateurteam zwei Einheiten hat, sind es 20 von 180 Minuten – und das ist aus meiner Sicht nicht zu viel. Wir wissen ja, dass die Torwartposition als eine der wichtigsten Positionen im Handball angesehen wird. Außerdem kann ich das Training der Torhüter ggf. mit dem Mannschaftstraining verbinden – und es beispielsweise als Wurftraining für die Außenspieler nutzen, aber den Fokus sichtbar auf den Keeper legen.

Sichtbar? 

Ich gebe die Aufgabe für die Feldspieler beim Wurftraining klar vor, konzentriere mich über Blick und Position aber auf auf den Torwart. Ich stehe auf fünf, sechs Meter, meine Blickrichtung ist zum Tor. Das schafft bereits gezieltere Würfe und ich gebe dem Torwart Aufmerksamkeit.

Ansonsten sprachst du eingangs davon, dem Torhüter Einzelaufgaben zu geben… 

Genau, das ist eine gute Möglichkeit; gerade, wenn man als Trainer alleine mit der ganzen Mannschaft in der Halle steht. Torhüter können mit Pommes und Koordinationsleiter an der Beinarbeit arbeiten oder mit verschiedenen Materialien an der Auge-Fuß- bzw. Hand-Auge-Koordination. Ich bin ein großer Fan der ‚Ballklatschen. Den Torhüter einfach nur zehn Minuten zum Dehnen zu schicken, ist aus meiner Sicht überholt.

Inwiefern? 

Das war in meiner Generation sicherlich Standard, aber es hat nichts damit zu tun, dass der Torhüter warm wird. Eine bessere Alternative ist das so genannte MAPS-Plakat, das der DHB kostenlos zum Download ( https://www.dhb.de/sites/default/files/2024-12/MAPS Poster Torhüter.pdf ) bereitstellt. Wenn ich das ausdrucke und dem Torhüter gebe, kann er sich selbst pro Einheit ein Programm aus den Übungen zusammenstellen. Wir haben auch mal einzelne Übungen fotografiert und sie mit Erläuterung zu laminierten Karten zusammengebastelt. Oder uns Übungsvideos auf ein Tablet geladen, was wir dem Torhüter dann gegeben haben. Es gibt so viele Möglichkeiten.

Das Dehnen gehört für einige Torhüter ebenso wie das standardisierte Einwerden dazu – und er will nicht, dass es ihm ‚gestrichenwird. Wie finde ich da einen Kompromiss? 

Das Gespräch mit dem Torhüter suchen, ist sicherlich der erste Schritt. Man kann als Trainer dann zum Beispiel erklären, was der Hintergrund ist – und sich beispielsweise einigen, dass am Spieltag die Routinen des Torhüters eingehalten werden und im Training immer mal wieder neue Reize gesetzt werden. Und wenn ein Torwart auf die Routine des Dehnens besteht, kann man in die Absprache gehen, inwiefern er früher kommen will. Die koordinative Förderung – und ich verweise erneut auf das MAPS-Plakat – ist jedoch unheimlich wichtig.

Was wären abseits des individuellen Programms neue Reize? 

Es ließe sich die übliche Wurfkombination beim Einwerfen variieren, das Einwerfen erfolgt aus anderen Positionen. Es muss beispielsweise nicht immer aus der Mitte erfolgen, sondern es lassen sich Varianten einbauen, die dem Torwart helfen – von den Halbpositionen oder von Außen. Da ist Kreativität möglich, obwohl der Schwerpunkt auf dem Einwerfen liegt.

Wenn Trainer selbst keine Torhüter gewesen sind, fehlt die eigene praktische Erfahrung mit dieser Position. Was würdest du da empfehlen? 

Ein paar einfache Eingriffe kann und muss jeder vornehmen, um seine Torhüter zu verbessern. Neue Reize zu setzen und den Torhüter im Training neu zu fordern, ist dabei der erste Schritt. Denn wenn wir den Torhüter nur das machen lassen, was er immer gemacht hat, werden wir in der Halle auch nur das bekommen, was er immer gehalten – oder irgendwann vielleicht auch nicht einmal mehr das. Wie soll ein Torhüter besser werden bei Würfen von Außen, wenn wir seine Beinarbeit nicht verbessern? Und wie soll er die 1. Welle besser werfen, wenn er das im Training nicht üben kann? Es ist ja schlicht und einfach ein Differenzierungsvermögen, den Pass so einschätzen, dass der Ball da landet, wo der Spieler ihn auch fangen kann.

Wie viel kann man auch falsch machen aus Unwissenheit? 

Wenn ich zu viel auf einmal einführen will, verwirre ich den Torhüter. Dinge, die ich neu mache, müssen wiederholt werden; das ist im Mannschaftstraining nicht anders, wenn wir neue Abläufe einstudieren. Wiederholung schafft Verbesserung. Ich kann natürlich auch Fehler wiederholen, aber man sollte dennoch keine Angst haben. Wenn man sich selbst unsicher ist, kann man sich Unterstützung suchen.

Ein Torwarttrainer kostet jedoch vielleicht Geld, das nicht da ist … 

Einige Vereine haben mit sehr viel Erfolg einen Torwarttrainer installiert, der mit allen Teams arbeitet. Da finden sich übergreifend in unregelmäßigen Einheiten Jugend- oder Erwachsenentorhüter zusammen oder der Torwarttrainer kommt vereinzelt auch mal ins Mannschaftstraining. Das ist finanziell oft besser umsetzbar als ein Torwarttrainer pro Mannschaft und es schafft immer noch eine besondere Förderung dieser wichtigen Position.

Denn der große Vorteil, den wir als Torwarttrainer haben: Wir haben weniger Spieler auf einmal im Training und so eine größere Aufmerksamkeit auf jeden einzelnen Torhüter. Das schafft größere Erfolge. Oder, wenn man in der Jugend tätig ist, kann man auch einen Torwart aus den Erwachsenenteams um Hilfe bitten, ob er pro Monat ein- oder zweimal ehrenamtlich vorbeikommen kann.

Was ist aus deiner Erfahrung bei der Einteilung von mannschaftsübergreifenden Trainingsgruppen heraus sinnvoll? 

A- und B-Jugendliche können grundsätzlich – je nach Entwicklungsstand – mit erwachsenen Torhütern zusammen geschult werden. Der D- und C-Jugend-Torhüter braucht hingegen aufgrund der Spielkonzeption eine ganz andere Schulung; er wird viel mehr Durchbrüche parieren müssen, weil in dieser Altersklasse noch keine defensive Deckungsformation gespielt wird.

Daher müssen wir dort den Tempohandball und die Eins-gegen-Eins-Situation – Torwart gegen Werfer – trainieren, im Nahwurfbereich, bei Durchbrüchen und von den Außenpositionen. Beim HSV Hamburg, wo ich aktuell tätig bin, trainieren die Torhüter der U15 separat und die U17, U19 und U21 in einem Team.

Ab welchem Alter ist Torwarttraining generell sinnvoll? 

Ab der D-Jugend werden die Würfe härter und ich brauche mehr Technik, um die Bälle zu halten. Dort sollte man auf jeden Fall beginnen, denn wir haben die Erfahrung gemacht: Wenn ein Torhüter zu spät mit dem Techniktraining beginnt, ist er ab der C-Jugend schnell überfordert, wenn die Würfe härter werden und mehr Bälle über die Außenposition kommen. Je früher sie Technik erlernen, desto schneller werden sie auch einen Spaß am Torwartspiel haben. Und auch der Deutsche Handballbund hat das in der Rahmentrainingskonzeption inzwischen angepasst und nennt die D-Jugend als Startalter für Torwarttraining.

Und in der E-Jugend? 

Da sollte jedes Kind auch mal ins Tor gehen, wenn es das möchte. Man kann den torwartbegeisterten Kindern aber auch schon ein paar Hilfen geben. Sie sollen schulterbreit stehen, die Arme leicht nach oben gebeugt, in den Knien wippend und Hände oben haben, um schnell am Ball zu sein und den Kopf zu schützen. Außerdem gilt: Hände seitlich vor dem Gesicht, denn was du sehen kannst, kannst du kontrollieren.

Abschließend: Was ist das Minimum, das jeder Trainer leisten kann – oder muss? 

Die Torhüter im Training im Blick haben und zu wissen, dass die meisten Torhüter die größten Defizite im Rahmen der Beinarbeit haben. Ihren Mut zu schulen, die Augen möglichst lange offen zu halten, denn umso länger ich den Ball sehe, umso länger werde ich die Möglichkeit haben, ihn zu haben. Und ich verspreche, dass man schnell Erfolge sehen wird. Gerade Vereine, bei denen Torhüter als Torwarttrainer in Jugendmannschaften gekommen sind, haben gute Fortschritte erzielt. Wenn du ehrgeizige Torhüter hast – und das sind die meisten Verrückten, die sich freiwillig ins Tor stellen – wollen sie sich auch verbessern und davon profitiert am Ende die ganze Mannschaft.