„Lasst die Kinder spielen.“ – Interview mit Stefan Bergold

Kinderhandball im Fokus: Am 17. November richtet die Deutsche Handball-Trainer-Vereinigung gemeinsam mit dem Handball-Verband Brandenburg und dem 1. VfL Potsdam eine Trainerfortbildung für Coaches im Nachwuchsbereich aus. „Handball ist spannend: Für klein und groß!“ heißt es in zwei Wochen in Potsdam. Einer der Referenten ist Stefan Bergold, der gemeinsam mit seiner Frau Melanie über das Thema „Spielerisch zum Handball – Basiskompetenzen schulen, Spaß am Spiel“ sprechen wird. Im Interview spricht er über seine Kinderhandball-Philosophie und verrät, was er in der Halle kaum ertragen kann …

Stefan, worauf kommt es aus deiner Sicht als Trainer im Kinderhandball an?

Es gibt eine Grundsatzfrage, die das Problem eigentlich sehr schön zusammenfasst: Ist es Kinderhandball oder Handball mit Kindern? Aus meiner Sicht ist Kinderhandball eben nicht gleichzusetzen mit dem klassischen Handball, der im Erwachsenenbereich gespielt wird. Wir müssen uns daher als Trainer bei dem, was wir machen, an den Erlebniswelten der Kinder orientieren. Wir müssen uns fragen: Was wollen die Kinder? Was macht ihnen Spaß? Wie können wir die Kinder abholen? Und vor allem: Wie können wir den Kindern unsere Sportart so präsentieren, dass sie auf der einen Seite gut ausgebildet werden, aber auf der anderen Seite der Spaß nicht zu kurz kommt?

Mit diesen Fragen im Hintergrund: Was verstehst du unter Kinderhandball?

Kinderhandball ist der erste Schritt mit dem Ball in der Hand. Die Kinder lernen den Ball kennen, sie lernen das Flugverhalten des Balls, sie lernen, wie er springt. Natürlich wollen wir älteren Kindern auch handballspezifisch das ein oder andere vermitteln, aber das sollte im Kinderhandball eben nicht nur durch üben, üben, üben geschehen, sondern durch verschiedenste Spielformen, die in die Erlebniswelt der Kinder reinpassen …

Das bedeutet?

Das ist der Punkt, an dem meine Frau Melanie, die auch Kinderhandballtrainerin ist, und ich oft denken: Da muss noch viel passieren. Wenn wir uns in den Sporthallen umschauen, sehen wir immer wieder Übungen aus dem klassischen Erwachsenenhandball: Da laufen sich die Kinder mit Armkreisen warm und spielen sich anschließend in einer Gasse die Pässe zu. Das ist nicht kindgerecht! Was sieht man, wenn man sich auf dem Schulhof umguckt? Die Kinder rennen und toben, sie spielen fangen und probieren sich an Sachen aus. Das ist eine kindgerechte Erlebniswelt und danach müssen wir unsere Sportart und unser Training ausrichten.

Was wäre an dieser Stelle der wichtigste Merksatz, den du Trainerinnen und Trainern gerne mitgeben würdest?

Lasst die Kinder spielen, lasst ihnen Freiräume, lasst sie sich ausprobieren! Das ist das Wichtigste, was man mit den Kindern im Training machen kann. Man muss ihnen nicht detailliert vorschreiben, was sie machen sollen, sondern kann ihnen einen Rahmen geben, in dem sie sich entwickeln können. Dann ist man an der Stelle nicht der klassische Übungsleiter, der vorschreibt, was zu tun ist, sondern der Partner oder Berater, der die Kinder sanft zu dem führt, was sie bestmöglich umsetzen können. Denn dann werden die Kinder kreativ und kommen selbst auf Ideen. Solche Spieler – Spieler, die kreativ sind, Ideen haben und viel Bewegungserfahrungen mitbringen – brauchen wir im höheren Leistungsbereich – und die Grundlagen dafür legen wir im Kinderhandball. Wenn die Bewegungserfahrung im Kindesalter nicht geschult ist, kann das im Erwachsenenbereich nicht mehr aufgeholt werden.

Sprich: Lieber eine Passgasse weniger und dafür ein Fangspiel, ein Abwurfspiel oder eine Staffel mehr?

Genau! Man kann ja – und ich glaube, das ist oft nicht präsent – auch gezielt spielen. Dabei sollte man immer darauf achten, dass man in kleinen Gruppen spielen lässt. Kinder müssen nicht immer im Sechs-gegen-Sechs spielen. Bei einem Ball und zwölf Spielern in einem Spielfeld muss man sich fragen: Wie oft kriegt jedes Kind den Ball?

Wenn du das so formulierst, wird die Antwort vermutlich sein: In der Regel zu selten, oder?

Definitiv. Wir müssen an der Stelle mehr Vertrauen haben in die Kinder, dass sie die Spiele auch alleine spielen können, wenn wir ihnen den Rahmen geben. Dann heißt das für uns, dass wir nicht daneben stehen müssen und zwölf Kinder in einem Spiel beaufsichtigen, sondern das Spiel in drei Spielfeldern aufbauen und die Kinder pro Spielfeld im Zwei-gegen-Zwei spielen. So sind die Kinder viel involvierter, haben mehr Ballkontakte und in der Regel auch mehr Spaß. Als Trainer können wir das von außen beobachten und gucken, in welchem Spielfeld man gezielt steuern muss.

Ein Klassiker für das Werfen auf das Tor: Die Kinder stellen sich in einer Reihe auf, prellen von der Mittellinie auf das Tor, werfen und stellen sich wieder hinten an. Das in der Halle zu sehen, dürfest du nur schwer ertragen, oder?

Oh mein Gott (lacht), so etwas gehört wirklich in kein Kindertraining! Dennoch sieht man es immer wieder. Ich finde es in Ordnung, wenn man ein Kind im Spiel zur Seite nimmt und ihm zeigt, wie eine Technik richtig gemacht wird, aber man sagt ja nicht umsonst: Im Kinderhandball soll man mehr spielen als üben! Diesen Gedanken wollen wir rüberbringen. Alles, was wir spezifisch machen wollen, können wir in Spielform umsetzen, damit wir die Kinder mit Spaß und Freude beim Handball haben.

Wie findet man denn die Balance zwischen Spiel und Spaß auf der einen Seite und der Schulung der grundlegenden Techniken auf der anderen Seite? Denn eine falsche Armhaltung, die sich ein Kind früh angewöhnt, ist später umso schwieriger zu korrigieren.

Die Technikschulung können wir individuell vor oder während eines Spiels immer erklären. Es geht mir einfach darum, dass wir weg von dem klassischen Üben einfach Kreativität zulassen. Wir sollten den Kindern die Aufgaben möglichst flexibel stellen und viele Variationen zulassen. Kein Kind sollte zu einem Fachidioten werden, sondern wir wollen Kinder, die Situationen auch kreativ lösen können. Eine Spielform, in der beidhändig geworfen soll, schult beispielsweise Bewegungen abseits der klassischen Handballtechnik. Und wenn wir den Kindern im Laufe eines Spiels Tipps geben, probieren sie es oft direkt aus und werden vielleicht merken, dass sie damit sogar erfolgreicher sind, aber sie haben eben auch darüber hinaus Bewegungserfahrung gesammelt und konnten sich viel mehr ausprobieren,

Was wäre denn beispielsweise eine spielerische Alternative, um das Werfen anders zu verpacken als in der besagten Schlange an der Mittellinie?

Es gibt die auch vom Deutschen Handballbund empfohlene Spielform Aufsetzerhandball. Der Ball muss als Aufsetzer durch ein Stangentor geworfen werden. Wenn das im Eins-gegen-Eins gespielt wird, sind die Kinder permanent in der Situation, dass sie werfen müssen – und sie probieren ständig Dinge aus. So sind wir mit einem einfachen Spiel weg vom Anstellen und haben das Werfen in eine Spielform transformiert. Aufsetzerhandball lässt sich auch mit mehreren Spielern pro Spielfeld spielen, sodass wir zusätzlich zum Schwerpunkt Werfen bereits in die Spielfähigkeit gehen.

Du hast eben schon selbst ein Schlagwort des Kinderhandballs zitiert: Mehr spielen als üben! Magst du abschließend noch einmal etwas ausführen, warum das aus deiner Sicht im Kinderhandball so wichtig ist?

Ich glaube, dass es eine Philosophie ist, die allen Trainern gut tun würde, denn wenn überall mehr gespielt werden würde, hätten wir flexiblere und spielfreudigere Kinder. Denn wir sind in erster Linie eine Spielsportart und stehen in Konkurrenz zu anderen Sportarten. Ich war letztens auf einer Fortbildung in Mecklenburg-Vorpommern und die Vereine dort haben mit American Football und Basketball regional extrem starke Konkurrenz. Um die Kinder zu begeistern, müssen wir weg vom Anstehen hin zu einem attraktiven Kinderhandball und Kindertraining, das Lust auf unsere Sportart macht! Wir müssen uns von dem Gedanken trennen, dass im Kinderhandball Ergebnisse entscheidend sind – es ist so viel wichtiger, dass die Kinder viel spielen, viel Erfahrung sammeln. Wenn sie in der Halle Spaß haben, ist das Ergebnis am Wochenende zweitrangig!