„Inklusion stellt eine riesige Chance für den Handball da“ – Interview mit Thomas Binnberg

Thomas Binnberg ist seit über zehn Jahren Mitglied der Deutschen Handball Trainer Vereinigung und stellte im April auf der Jahreshauptversammlung in Köln das Projekt „Glücksliga“ und die von ihm unter dem Dach dieser Initiative gegründeten Trainingsgruppe bei seinem Verein TV Arnsberg vor. Im Interview stellt der 48-Jährige den Grundgedanken der inklusiven Liga vor, berichtet von seinen Erfahrungen aus dem Trainingsalltag und gibt Tipps für Vereine, die sich ebenfalls anschließen möchten … 

Thomas, die Glücksliga war zwar in den vergangenen Monaten in der Handball-Szene immer mal wieder ein Thema, aber würdest du für all diejenigen, die von der Initiative noch nichts mitbekommen haben, eingangs kurz zusammenfassen, was dahintersteckt? 

Die Idee der Glücksliga kommt ursprünglich aus Dänemark. Rikke Nielsen, eine ehemalige dänische Handball-Nationalspielerin suchte für ihr Kind, das mit Down-Syndrom auf die Welt gekommen ist, eine Handball-Mannschaft und hat kein Team gefunden.

Daher hat sie 2017 selbst eine Mannschaft gegründet und hat schnell festgestellt, dass es für so ein Angebot einen großen Bedarf gibt, denn es kamen immer mehr Eltern auf sie zu, die genau so eine Trainingsgruppe gesucht hatten. Mittlerweile gibt es in Dänemark über 70 Mannschaften, die sich unter dem Dach der LykkeLiga, wie die Glücksliga auf dänisch heißt, zusammengeschlossen haben. Die Gründerin hat mittlerweile einen eigenen Etat vom Staat.

Und inzwischen ist die Glücksliga auch in Deutschland angekommen …

Genau, über Maria Ravn Jargensen, die in der 1. Mannschaft von Handball Bad Salzuflen gespielt hat bzw. spielt. Sie hat durch Zufall mit einer Familie zusammengesessen, die von dem erfolglosen Versuch berichtet hat, eine Mannschaft für ihre Tochter mit Handicap zu finden. Diese Spielerin hat daraufhin gesagt: Ich kenne doch da eine Idee aus Dänemark. Daraufhin wurden im September 2021 in Bad Salzuflen die SuperKidz gegründet.

Wie bist du persönlich zu deinem Engagement in der Glücksliga gekommen?

Auch an dieser Stelle wiederholt sich die Geschichte: Meine Frau und ich haben zwei Kinder, unsere jüngere Tochter ist mit Trisomie auf die Welt gekommen. Wir sind eine handballverrückte Familie und haben daher geguckt, welche Angebote es für sie in unserer Sportart gibt – und genauso wie viele anderen Familien haben wir festgestellt, dass es in der Regel keine gibt. Ich bin durch Zufall über einen Online-Stammtisch zum Thema „Handball und Inklusion“ mit Andreas Stolle aus Bad Salzuflen, dem Organisator der dortigen SuperKidz sowie der Glücksliga in Kontakt gekommen. Nachdem ich ihn besucht hatte, wusste ich bereits auf der Rückfahrt: So eine Gruppe müssen wir auch in Arnsberg ins Leben rufen!

Was macht die Glücksliga aus?

Es geht um den Spaß an der Bewegung und die Begeisterung für den Handball. Die Kinder sind glücklich und saugen alles auf – und die Familien sind unfassbar dankbar, dass es ein Angebot gibt. Wenn es um Sport für Kinder und Erwachsene mit Handicap geht, heißt es oft: Das geht nur als Rehasport und nur mit einer ärztlichen Verordnung. Die Trainingsgruppen der Glücksliga leben stattdessen von dem Herzblut aller Beteiligten. Wir stellen uns einfach in die Halle und bieten das Training für alle Kinder an, die teilnehmen wollen – unabhängig davon, welche Diagnose sie haben.

Wie darf man sich das vorstellen? Kann tatsächlich jedes Kind einfach mitmachen?

Kurz gesagt: Ja. Wir freuen uns über jedes Kind und nehmen keine Einteilung oder Separierung vor. Wir sagen lediglich: Eine Hand muss am Ball sein können. Ob ein Kind darüber hinaus im Rollstuhl sitzt, eine Gehunterstützung benutzen muss oder eine geistige Behinderung hat, ist uns völlig egal. Wir fragen auch nicht großartig nach den Diagnosen. Die Eltern sind die Experten und wenn sie der Meinung sind, dass ihr Kind in der Glücksliga richtig ist, wird das in keiner Halle in Frage gestellt. Wir freuen uns stattdessen, dass die Familie mutig sind und sich unser Training anschauen.

Magst du ein bisschen aus der Praxis erzählen: Wie wurde eure Trainingsgruppe, die Glückskinder, im Verein angenommen?

Unser Verein war sofort dabei, als wir mit der Idee angekommen sind, obwohl es vorher keine Berührungspunkte zum Inklusionssport gab. Wir sind im März 2022 mit elf Kindern an den Start gegangen, inzwischen haben wir über 25 Kinder im Alter von 5 bis 17 Jahren bei uns und überlegen, eine zweite Gruppe anzubieten. Wir trainieren 75 bis 90 Minuten und machen viele Übungen aus dem Mini- und Kinderhandball. Die Kinder sind alle begeistert dabei und wir tun auch den Eltern mit diesem Angebot etwas Gutes. Das hatten wir vorher gar nicht auf dem Schirm.

Wie meinst du das?

Ein Vater hat mir einmal erzählt, dass er immer im Whats-App-Status der Nachbarschaft gesehen hätte, was die anderen Familien auf Sportplätzen erleben und wie oft sie unterwegs sind. Er sagte: „Ich konnte mir das für uns nie vorstellen, aber jetzt kann ich mich auch am Samstagnachmittag mit einem Kaffee auf die Terrasse setzen und ein Bild vom Training in meinen Whats-App-Status stellen – und es geht mir saugut dabei.“ Solche schöne Erfahrungen machen wir immer wieder.

Warum ist eure Trainingsgruppe so wertvoll für die Familien?

Die Familien, die zu unseren Glückskindern kommen, könnten wir theoretisch in zwei Fraktionen einteilen. Die einen haben es vorher mit der Anmeldung ihres Kindes in einem Sportverein schon einmal probiert, sind aber gescheitert. Einigen wurde vom Trainer gesagt, dass es nicht passt; andere haben erlebt, dass über sie getuschelt wurde. Da hieß es nach einer Niederlage hinter vorgehaltener Hand, dass es kein Wunder sei, dass man verloren habe, man habe ja ein Kind mit Behinderung dabei.

Und die anderen, die zweite Fraktion, konnten sich vorher überhaupt nicht vorstellen, dass sie mit ihrem Kind in einen Sportverein passen. Und egal, zu welcher Fraktion sie gehören: Diese Familien saugen das Vereinsleben jetzt unfassbar auf und genießen es, dazuzugehören. Das ist einfach fantastisch und bringt eine ganz neue Dynamik rein.

Das heißt: Auch der Verein hat die Einrichtung der Gruppe nicht bereut?

Ganz im Gegenteil: Unsere Abteilung profitiert unheimlich von den Glückskindern. Die neuen Familien bringen Begeisterung mit und wollen oft mehr Vereinsleben. Außerdem schaffen wir immer wieder Begegnungen zwischen Menschen mit und ohne Behinderung. Das ist das Salz in der Suppe. Der Verein ist entsprechend sehr stolz auf seine Glückskinder. Seit dem vergangenen Jahr ist das Logo unserer Gruppe auf den Trikots aller Mannschaften zu sehen, um zu zeigen: Ihr gehört dazu. Das ist für unsere Kinder und ihre Eltern ein tolles Zeichen.

Inwiefern gibt es in der Glücksliga einen Spielbetrieb?

Eine reguläre Saison, wie sie jeder Handballer aus seiner aktiven Zeit kennt, gibt es nicht. Wir haben dieses Jahr am 14. Oktober aber wieder unseren Hummel-Cup, ein Happening für alle Kinder und ihre Familien. Im letzten Jahr haben fünf Mannschaften daran teilgenommen, in diesem Jahr werden es schon elf Teams sein. Wir spielen über das Querfeld, die Regeln sind zweitrangig – und das stört keinen!

Wie darf man sich das vorstellen?

Wir haben natürlich einen Schiedsrichter auf dem Feld, aber wenn ein Kind dabei ist, dass mit dem Ball in der Hand über das ganze Spielfeld läuft und ihn aus zehn Zentimetern Entfernung ins Tor wirft, weil es das anders nicht kann, ist das auch okay. Es meckert keiner, stattdessen gibt es Applaus. Bei unserem Turnier herrscht immer eine ganz tolle Atmosphäre.

Wir hatten letztes Jahr einen Vertreter des HV Westfalen vor Ort, der nur sagte: „Ich sehe hier in der Halle das, was ich mir in ganz vielen anderen Hallen wünschen würde – Handball aus Spaß an der Freude. Die Kinder können sein, wie sie sind und es gibt keine Eltern, die mit dem Schiedsrichter meckern, sondern es freuen sich einfach alle, dass die Kinder glücklich sind.“ Ich denke, das fasst es ganz gut zusammen.

Wenn ein Verein über die Einrichtung einer eigenen inklusiven Trainingsgruppe nachdenkt: Was kannst du aus eurer Erfahrung für Ratschläge geben?

Wer eine Gruppe gründet, muss erst einmal richtig Bock haben und sich im Klaren sein, dass er in eine neue Welt eintaucht. Rein praktisch hat sich bei uns der Samstagvormittag als Trainingszeit etabliert. Das funktioniert sehr gut, denn unter der Woche kommt oft etwas anderes dazwischen. Wir trainieren 75 bis 90 Minuten, danach ist die Aufmerksamkeit weg. Ansonsten haben wir sehr gute Erfahrungen damit gemacht, das Trainerteam möglichst breit aufzustellen, damit nicht jeder Trainer jeden Samstag in der Halle stehen muss. Wir haben aktuell immer fünf Trainer gleichzeitig in der Halle, da der Betreuungsbedarf einfach größer ist. In Bad Salzuflen besteht eine Kooperation mit der weiblichen B-Jugend; die Spielerinnen unterstützen wechselweise beim Training.

Wenn ein Verein eine neue Trainingsgruppe gründet: Wie könnte sich dieser der Glücksliga anschließen?

Das ist ganz einfach; es kostet auch keine Gebühr. Andreas Stolle aus Bad Salzuflen ist der Macher hinter der Glücksliga. Wenn man ihm eine E-Mail schreibt, greift er unfassbar schnell zum Telefonhörer und bietet Unterstützung an. Wir haben auch eine Whats-App-Gruppe mit jeweils einem Trainer aus jedem Verein und unterstützen uns gegenseitig. Die Trainer der MT Melsungen waren beispielsweise eine Woche vor dem Start ihrer Gruppe bei uns in Arnsberg und haben erste Eindrücke mitgenommen.  Und je mehr Vereine es gibt, umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir auch regionale Events machen und zum Beispiel gemeinsam trainieren können.

Inwiefern unterstützt die DHTV euer Engagement bzw. die Glücksliga?

Ortwin Gilcher hat mir die Unterstützung bereits mehrfach angeboten. Wenn wir tatsächlich eine zweite Trainingsgruppe gründen und dann mit unseren älteren Kids in Richtung Special Olympics gehen, würde ich Ortwin kontaktieren. Er hat beispielsweise schon in Aussicht gestellt, dass eine Ausstattung mit Bällen kein Problem wäre.

Außerdem ist das Netzwerk der DHTV ein absoluter Mehrwert, weil es eine Öffentlichkeit schafft. Ich habe die Glücksliga auf der Jahreshauptversammlung vorstellen dürfen, Ortwin hat schon einmal Flyer verteilt und jetzt gibt es dieses Gespräch. Das hilft uns alles weiter. Und wenn wir irgendwann als Glücksliga noch weiter gewachsen sind, würde uns die DHTV sicherlich auch bei einer Trainerfortbildung zu dem Thema unterstützen.

Zum Abschluss: Möchtest du noch etwas loswerden?

Wer eine Trainingsgruppe unter dem Dach der Glücksliga ins Leben ruft, wird sehr viel Freude damit haben. Man nimmt als Trainer eine unglaubliche Herzlichkeit und Dankbarkeit von den Kindern mit. Wir gehen immer wieder mit einem Grinsen in das Wochenende (lacht). Inklusion stellt eine riesige Chance für den Handball da. Das Thema taucht aktuell immer wieder auf verschiedenen Ebenen auf und uns als Handball-Community eilt uns der Ruf voraus, dass wir nette und tolle Menschen sind. Wenn wir das Thema nicht mit Leben füllen, wer soll es denn dann machen?