Über einen guten Umgang mit Spielerinnen: Dirk Leun im Interview

Dirk Leun (58) gehört zu den Trainer-Veteranen im Frauenhandball. Seit 25 Jahren begleitet er (junge) Spielerinnen in verschiedenen Funktionen – ob im Verein, im Landesverband und als Jugend-Nationaltrainer. 2008 führte er die weibliche U20-Nationalmannschaft des Deutschen Handballbundes sogar zum WM-Titel. Inzwischen ist Leun seit 14 Jahren Trainer bei Erstligist Buxtehuder SV. Er holte mit den Niedersächsinnen zweimal den DHB-Pokal, wurde zweimal Vize-Meister und siegte einmal im EHF Challenge Cup. Mit der A-Jugend (2016) und B-Jugend (2019) des Vereins gewann Leun zudem die Deutsche Meisterschaft.

Im Interview spricht der erfahrene Frauentrainer darüber, was aus einer Sicht einen guten Umgang mit Spielerinnen ausmacht und verrät, warum es wichtig ist, sich mit den verschiedenen Generationen zu beschäftigen …

Fotoquelle: Janice Bücker/BSV

Herr Leun, wenn Sie auf einer Trainerfortbildung über den guten Umgang mit Spielerinnen sprechen würden: Welche Schlagworte müssten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer unbedingt mitnehmen? Was macht für Sie einen guten Umgang mit Spielerinnen aus?

Wertschätzung, Respekt, Ehrlichkeit und Transparenz. Das sind Punkte, die nicht nur im Sport wichtig sind, sondern in jeder sozialen Gruppe.

Sprechen wir zu Beginn über Wertschätzung…

Wenn sich jemand nicht wertgeschätzt fühlt, fühlt er sich nicht wohl. Das Thema Wertschätzung hat heute ein ganz anderes Gewicht als noch vor zehn oder zwanzig Jahren. Früher hat man sich darüber keine Gedanken gemacht. In meiner Generation hat der Trainer einen Spieler auch mal vor der Mannschaft als Dummkopf hingestellt – das war nicht angenehm, aber es war normal. Heute wäre eine Beleidigung wie diese ein No-Go.

Ich habe mich vor einigen Jahren über Literatur intensiv damit beschäftigt, wie man Spielerinnen aus der Generation Y oder Z führen sollte. Die heutigen Spielerinnen wollen mehr belohnt und gelobt werden für ihren Einsatz, sie erwarten Unterstützung und Wertschätzung in Form von positivem Feedback. Es ist oft ein Mix aus Idealismus und Realismus zugleich, aber sie fordern auch, dass du ehrlich mit ihnen bist.

Sie wollen – auch das gehört zur Wertschätzung und das hat man bei der Causa Andre Fuhr gesehen – mehr auf Augenhöhe behandelt werden. Als Trainer muss ich heute einen integrativen Führungsstil wählen und die Spielerinnen einbinden in die Gedanken, die ich habe, denn sie müssen diese auf dem Feld umsetzen. Diese Partizipation an Entscheidungen wird immer wichtiger.

Wenn Sie sagen, Sie haben sich dem Thema über Literatur genährt: Welches Buch können Sie empfehlen?

Mir hat „Von Babyboomer bis Generation Z – Der richtige Umgang mit unterschiedlichen Generationen im Unternehmen“ sehr geholfen. Es ist ein Sachbuch, das vom Unternehmensumfeld handelt, aber das lässt sich adaptieren. Es ist einfach wichtig, dass man sich mit diesem Thema generell beschäftigt. Ich bin seit einem Vierteljahrhundert Trainer und auch ich muss mich weiterentwickeln, was den Umgang mit Menschen angeht, weil die Spielerinnen heute eben ein ganz anderes Bedürfnis an Führung haben und ganz anders geführt werden wollen als vor 20 Jahren.

Kommen wir von der Wertschätzung zum Thema Respekt …

Ich bin sicherlich auch nicht der perfekte Trainer. Mir rutscht auch mal ein blöder Satz raus, wenn ich im Training genervt bin; dafür sind auch Trainer nur Menschen und der Handball ist mit Emotionen verbunden. Allerdings darf man eine bestimmte Grenze nie überschreiten; man muss immer den Respekt voreinander behalten. Seit der Geschichte mit Andre Fuhr überlege ich außerdem, das muss ich zugeben, ob ich meiner Spielerin auf die Schulter klopfe oder eher nicht. Da bin ich sensibler geworden. Ich denke auch mehr darüber nach, was ich sage. Ich denke, das ist eine gute Entwicklung.

Als männlicher Trainer im weiblichen Bereich ist das natürlich ein besonders sensibles Thema. Worauf achten Sie dabei?

Ich versuche, meine Spielerinnen im Training sehr gut zu beobachten – das ist, das empfinde ich selbst so und das haben mir Kollegen auch gespiegelt, eine meiner Stärken. So sehe ich, ob es jemandem nicht gut geht und kann darauf reagieren, kann sie ansprechen. Es darf über das Training und die sportliche Leistung hinaus nie zu kurz kommen, ein Interesse daran zu zeigen, wie es dem Menschen geht.

Im Oktober, als die Uni wieder angefangen hatte, war das sofort im Training zu spüren; die Konzentration war nicht immer bei 100 Prozent. Ich habe die Spielerinnen dann gefragt, an welchem Tag ihre Belastung in der Uni besonders hoch ist, um die Belastung besser steuern zu können. Ich glaube, so etwas wissen die Spielerinnen zu schätzen.

Als Trainer bist du immer – gerade im Jugendbereich – eine wichtige Bezugsperson. Ich sehe die Spielerinnen sogar fast täglich; daher gehört ein enger sozialer Kontakt und ein Interesse an dem Menschen für mich dazu. Die Work-Life-Sport-Balance muss stimmen; von einer Spielerin, der es schlecht geht, habe ich als Trainer in keiner Liga etwas.

Als weitere Schlagworte haben Sie Ehrlichkeit und Transparenz genannt …

Ich denke, es ist wichtig, klare Regeln zu vereinbaren und transparent zu sein. Dafür ist Kommunikation ein ganz entscheidender Schlüsse. Ich kann jedem Trainer nur ans Herz legen, mit seiner Mannschaft zu kommunizieren, um zu verstehen, wie die Menschen ticken. Denn egal ob in der C-Jugend, der Bezirksklasse oder der Bundesliga: Wer gibt einem Trainer in jeder Trainingseinheit eine Rückmeldung? Die Spielerinnen. Du siehst lachende Gesichter, wenn sie Spaß haben oder sie schweigsam aus der Halle schlurfen, wenn es kein gutes Training war. Die Spielerinnen sind der Spiegel für dich als Trainer; umso wichtiger ist es, sie zu animieren, sich einzubringen.

Hätten Sie ein Beispiel?

Wir haben in Buxtehude Mannschaftsregeln in der Halle hängen, wie wir uns im Training verhalten wollen. Dort steht zum Beispiel, dass weder Trainer noch Spielerin abschätzige Gestiken machen. Mir ist es schon passiert, dass nach dem Training der Mannschaftsrat zu mir gekommen ist und gesagt hat: Dirk, du hast mit den Augen gerollt, das finden wir nicht gut. Ich habe mich entschuldigt und gesagt: Das stimmt, da muss ich drauf achten. Als Trainer bin ich auch nur ein Mensch, es geht mir mal nicht gut, ich bin mal genervt. Und ich bin stolz darauf, dass die Mannschaft keine Hemmungen hat, mir so etwas zu sagen.

Kritik am Verhalten des Trainers ist für Sportler per se ein schmaler Grad, denn das kann schnell negative Folgen haben …

Das ist leider wahr. Spielerinnen verhalten sich zum Trainer oft demütig oder haben Angst, dass es sportliche Nachteile haben kann, wenn sie bestimmte Dinge ansprechen. Wir müssen den Spielerinnen daher ein anderes Standing verschaffen. Sie dürfen keine Angst haben, sich zu wehren, wenn sie falsch behandelt werden. Wenn man mehrmals die Woche eine Spielerin im Training fertigmacht und ihr jegliche Handballkompetenz abspreche, muss sofort Rotlicht-Alarm herrschen.

Im Extremfall Andre Fuhr sind diese Signale aber leider nicht gehört worden. Es haben Leute weggeschaut, ich spreche mich selbst davon gar nicht davon frei. Ich wusste auch von einigen Dingen. Im Nachhinein darf man allerdings nicht unterschätzen, dass jeder Vorfall für sich nicht das Gesamtbild ergeben hat, was sich jetzt herauskristallisiert hat. Umso wichtiger ist es jetzt, alle Spielerinnen, Trainer und Vereine zu sensibilisieren. Denn machen wir uns nichts vor: Es gibt auch im Handball eine Menge mehr Fälle.

Jeder Trainer sieht in seinem Verein und den anderen Hallen Woche für Woche andere Trainer. Was wäre denn Ihre Empfehlung, wenn man einen Umgang erlebt, der einem – salopp gesagt – Bauchschmerzen bereitet?

Das lässt sich nicht pauschal beantworten. Ich denke, man sollte aus dem Bauch heraus entscheiden, wie viel Recht und Pflicht man hat, etwas zu sagen bzw. einzugreifen. Es ist aber wichtig, genau zu überlegen, wie man das wem gegenüber anspricht, denn es ist immer ein Eingreifen von Außen in eine soziale Gruppe – ohne, dass man den Gesamtkontext kennt. Ich will um Gottes Willen nicht für ein Wegsehen plädieren, aber wir können auch keine „Sittenpolizei“ in den Hallen einführen. Dennoch: Es ist wichtig, sensibel zu sein – und wenn mir etwas wirklich gegen den Strich geht, würde ich im Zweifelsfall wahrscheinlich auch eingreifen. Es ist und bleibt aber eine schwierige Frage.

Was kann ein Trainer in seinem eigenen Team machen?

Ich würde empfehlen, einen Mannschaftsrat einzuführen und regelmäßig das Gespräch zu suchen. So wird den Spielerinnen gezeigt: Ich will euch anhören, mich interessiert eure Meinung. Wir haben in Buxtehude zudem eine neutrale Anlaufstelle eingeführt, eine ehemalige Spielerin von uns, an die sich die Spielerinnen wenden können. Denn es gibt nun einmal Themen, die Mädchen oder auch junge Frauen nicht mit einem Mann besprechen wollen. Und, auch das ist ein Grundsatz von mir: Die Kabine ist ein absolutes No-Go – nicht nur, weil sich die Spielerinnen dort umziehen, sondern weil ich ihnen bewusst einen Schutzraum geben will.

Das heißt?

Meine Spielerinnen dürfen in der Kabine auch mal über mich schimpfen und sich untereinander – auf deutsch gesagt – auskotzen. Das sage ich ihnen auch so, denn das ist menschlich. Ich will das alles gar nicht hören, aber es ist wichtig, ihnen auch auf dem Trainingsgelände den Schutzraum dafür zu geben.

Das passt zu Ihrer Aussage von eben, dass Sie stolz sind, dass die Spielerinnen sich auch trauen, Sie auf Fehler hinzuweisen. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig, um so ein Vertrauen im Umgang zu erreichen?

Ich sehe mich in meiner Rolle als Trainer als einen Begleiter von jungen Menschen, die sportliche Ziele erreichen wollen. Man muss sich auch im Leistungssport davon lösen, dass einem – überspitzt gesagt – Spielerinnen „gehören“. Ein bekanntes Beispiel wäre Emily Bölk. Ich habe sie auf ihrem Weg ein Stück begleiten dürfen, aber ich könnte mir nie anmaßen, alleine Emily Bölk entwickelt zu haben. Viele Menschen haben einen Teil zu ihrer Entwicklung beigetragen. Man darf sich als Trainer nie zu wichtig nehmen, man ist ein Stück von einem großen Mosaik.

Was folgt für Sie daraus?

Ich sehe mich als ein Teil der Gruppe, ich habe wie jede Spielerin meine Stärken und Schwächen. Ich bestimme als Trainer naturgemäß viele Dinge, aber ich bin nicht vor Fehlern gefeit. Das habe ich in meiner Trainerkarriere früh gelernt: In meiner Zeit in Hüttenberg haben wir ein wichtiges Derby zu Saisonbeginn verloren. Ich habe mich in diesem Spiel nach kurzer Zeit nur noch mit den Schiedsrichtern beschäftigt, das war ein Fehler von mir und das habe ich den Spielerinnen danach auch gesagt.

In der Kabine sind Tränen geflossen, aber ich habe dennoch gespürt, wie gut es bei der Mannschaft ankam, dass der Trainer sich an die eigene Nase gefasst hat. Das hat nicht die schlechte Leistung aus dem Weg geräumt, aber es hat ihnen en gutes Gefühl gegeben, weil ich die Kritik bei mir begonnen habe. Ich stehe als Trainer eben nicht über allen, sondern ich gehöre als Wegbegleiter dazu.

Abschließend: Wenn ein Trainer für sich selbst Defizite im Umgang mit seinen Spielerinnen feststellt – wie kann er besser werden?

Wenn ich ein besserer Trainer sein will, erfolgreicher sein will, meine Spielerinnen besser verstehen will, muss ich in erster Linie bereit sein, an mir zu arbeiten. Es gibt genügend Kanäle, um sich fortzubilden – sei es durch Literatur, durch Trainerausbildungen oder durch Kurse mit Mentaltrainern oder Kommunikationscoaches, die es auf dem freien Markt zur Genüge gibt. Und die sinnvollste Form, sich als Trainer zu entwickeln – gerade im Leistungsbereich – ist das Mentoring. Bei erfahrenen Trainern zu hospitieren und von ihnen zu lernen, ist unglaublich wertvoll.